Der Untergang der Telestadt
Zeit in gewisser Weise abzustumpfen und mich daran zu gewöhnen, den wachen Teil der Rückreise ohne Gefährtin zu überstehen.
Vorgesehen hatte Bruno, täglich zwischen Abendessen und Schlaf mein Tagespensum der gesamten Crew vorzuführen.
Während also vier Fünftel der Mannschaft all das sortierten, klassifizierten, analysierten, was wir vom Planeten Flora entfernt und in die Speicher des Schiffes gestopft hatten, saß, lag oder lief ich in meinem gemütlich eingerichteten Arbeitszimmer umher und las oder sprach die Chronik der TELESALT.
Doch das ist leichter gesagt, als es getan war. Zunächst hatte ich Schwierigkeiten mit der Handschrift, dann mit dem Zustand des Manuskripts. Es war an den Rändern vergilbt, an vielen Stellen verblaßt, und ich mußte häufig die Worte mit einer Lupe untersuchen. Und der Stil! Abgefaßt in einem Holper-Inter, das offenbar nicht die Muttersprache der Schreiberin war. Ich kam langsam voran, so daß ich befürchtete, ich würde es in der genehmigten Zeit nicht schaffen. Am ersten Tag gelangen mir ganze vier Seiten. Dennoch fühlte ich mich glücklich, als ich die gespannten Gesichter der Gefährten sah, und ich drückte mit einem gewissen Stolz, daß gerade ich einen solchen Prozeß steuern durfte, die Wiedergabetaste. Und alsbald füllte meine Stimme den Raum.
Anmerkung: Auf ausdrücklichen Wunsch des Universum-Verlages soll
te, dem Ablauf der Unternehmung folgend, in meinen Be
richt die Chronik eingefügt werden, da sie – so wird be
gründet – durch meine Interpretation subjektiv beeinflußt
sei. (Schließlich existieren mittlerweile Modifikate.)
Sollte jemals jemand dieses lesen, möge er mir von Herzen verzeihen. Ich bin weder berufen noch auserwählt, nicht einmal beauftragt, eine Chronik dieser Expedition Telesalt zu schreiben. Mir fehlt für ein derart gewaltiges – ja, für gewaltig halte ich so etwas – und anspruchsvolles Unterfangen jedwede Qualifikation, sowohl was den Genius als auch die Handfertigkeit anbelangt. Dennoch: Wenn nur die Spur einer Wahrscheinlichkeit bestünde, daß noch einmal Menschen diesen herrlichen, fruchtbaren Planeten betreten, sollen sie wenigstens andeutungsweise erfahren, mit welch schrecklicher Kontinuität die Menschen der Telesalt, die sich für Pioniere, für Wegbereiter hielten, untergingen, denn das werden sie, auch wenn ich es nicht erlebe.
Aber ich greife vor, sicher der Tatsache geschuldet, daß das am meisten Bewegende stets vordergründig den Kopf ausfüllt…
Eine Chronik erhebt wohl mit Recht den Anspruch, chronologisch abgefaßt zu sein, und zu Anfang sollte der Chronist weniges zu seiner Kompetenz sagen. Nun, daß ich mich nicht berufen fühle, habe ich be reits erwähnt, aber die Eigenschaft eines Chronisten, Zeitgenosse zu sein, darf ich für mich noch in Anspruch nehmen:
Ich bin Fanny McCullan, die Gefährtin – nein, die ehemalige Gefährtin des Gus McCullan, der jetzt dem geschlagenen Fähnlein der TelesaltMenschen vorsteht und sich noch immer Commodore nennen läßt. Ich habe also viele Entscheidungen, oft schicksalsschwere, in ihrem Entstehen miterlebt, kenne Beweggründe und bin vielleicht auch heute noch der einzige Mensch – außer McCullan natürlich –, der um alle die möglichen Auswirkungen solcher Entschlüsse weiß… Noch!
Falls nicht jemand private Eintragungen in sein Tagebuch getätigt hat, ist die Notiz im Logbuch der Telesalt über die Landung auf Neuerde mit dem Hinweis, das Buch sei nun geschlossen, die letzte offizielle Mitteilung an die Nachwelt.
Das geschah am Tag Null der neuen Zeitrechnung auf Neuerde.
Heute, da ich versuche, eine Chronik zu beginnen, schreiben wir den Tag achthundertsiebenundsiebzig, zwei Jahre und fünfundsiebzig Tage also, gerechnet nach dem Umlauf des Planeten um das Zentralgestirn. Es wird für mich also notwendig, mich an den Beginn zurückzuerinnern, mit, das ist mir klar, allen Abstrichen. Denn es ist den Menschen eigen, zumindest der Fanny McCullan, Schlimmes, das vor Besserem oder noch Schlimmerem lag, im nachhinein abzuwerten. Und Schlimmes ist uns widerfahren, widerfährt uns…
Ich erinnere mich: Während und nach dem Inferno, das unser Riesenkreuzer, als er landete, in dem grünen Meer verursachte, wurde es still im Schiff, ein Zustand, den ich nicht erwartet hatte. Ich dachte an Jubel, an Euphorie, an Freude: Endlich Schluß der Öde, heraus aus dem, wenn auch noch so komfortablen, Blechkasten, hinein in begeisternde Arbeit! Ob die zum
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