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Der Untergang der Telestadt

Der Untergang der Telestadt

Titel: Der Untergang der Telestadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Kröger
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noch grauer als sonst. Schwärzliche Fetzen zogen langsam darüber hin.
    Ich wußte eine Unmenge Leute in unmittelbarer Nähe, dennoch beschlich mich Angst. Ich stolperte über die zusammengewalzten Pflanzenteile, ständig gewärtig, da ich mich konzentrieren mußte, um nicht zu stürzen, von hinten angefallen zu werden. Die Ruine einer ausgebrannten Großräummaschine, die zur Hälfte im angekohlten Waldessaum stak und einen brenzligen Geruch ausströmte, trug nicht zu meiner Beruhigung bei. Ich atmete daher auf, als sich vor mir der Aushau, auf die Siedlung mündend, erweiterte.
    Mich beschlichen Ehrfurcht angesichts der Größe des Vorhabens und Zweifel, ob eine solche Aufgabe jemals bewältigt werden könnte. Und ein wenig bewunderte ich die Leute schon, Gus und David Kanadse auch, die scheinbar ohne alle Ängste die Sache angingen und jede Kleingläubigkeit im Entstehen erstickten. Oder drückte sich darin eine höhere Form von Angst aus, eine Angst, die Zügel zu verlieren, sobald sie einmal zu locker seien…?

    Der hundertste Tag nach der Landung wurde als ein besonderer begangen. Die Menschheit von Neuerde versammelte sich in der Telesalt im großen Auditorium. Wir gedachten zu Beginn der siebenundzwanzig Toten, die die hundert Tage bislang gefordert hatten, vier davon starben an mysteriösen Erschöpfungserscheinungen, alle anderen verunglückten bei ungewohnter Arbeit unter widrigen äußeren Bedingungen, ein Hubschrauber war von einer Fernerkundung nicht zurückgekehrt.
    Sie wurden geehrt, diese Toten, wurden in ewige Erinnerung derjenigen gesenkt, die den Grundstein Neuerdes setzten…
    Aber die feierliche Stunde gehörte einem anderen Anlaß, einem freudigeren: Die Stadt wurde ihrer Bestimmung übergeben, unfertig zwar, aber sie sollte funktionieren. Es standen einhundertdreiundzwanzig Wohnhäuser, ein jedes für acht Personen, zwei Familien also; die Magazine für die tägliche Bedarfsbefriedigung – natürlich bei eingeschränkten Bedürfnissen und noch gefüllt mit mitgebrachten Waren – sollten versorgungswirksam sein, die Schule für die Klassen eins bis zehn aufnahmebereit. Der Commodore dankte allen, insbesondere jenen, die den Wald vor Ort rodeten, gegen feindliches Getier angingen, die eigentlichen Voraussetzungen für die benötigten Räume schufen. Er erwähnte lobend die Bauleute, denen trotz schlechter Wetterbedingungen die erreichte Ausbaustufe der Stadt zu verdanken sei. Kanadse kritisierte leicht die Forscherkollektive, die bislang keine Durchbrüche beim Einsatz einheimischer Stoffe erzielt hätten. Dies erweise sich als um so dramatischer, weil durch die Entladungserscheinungen der Akkumulatoren, dadurch, daß die Hölzer des Urwalds nicht feuerhaltend brannten und die Reserven der Telesalt an Brennstoffen nicht unerschöpflich seien, schon jetzt der Arbeitsrhythmus erheblich gestört werde. Ohne es auszusprechen, machte er so darauf aufmerksam, daß der Tag nicht fern sei, an dem drastische Energiesparmaßnahmen eingeführt würden.
    Der Commodore gab auch bekannt, von ihm als ein fortschrittliches Ereignis gewertet, es würde eine große Werkstatt aufgebaut werden, die die doch mehr als vorausgesehen anfallenden Reparaturen an Fahrzeugen und Geräten übernähme. Leider müßten dafür die Forschungsteams ein wenig verkleinert werden, »denn«, so bemerkte er scherzhaft, »Reserven an Menschen gibt es zur Zeit nicht. Ich appelliere an alle, dem abzuhelfen…«
    Später hörte ich, der Aufbau der Werkstatt sei eine Art Kapitulation, ein Eingeständnis der Unzulänglichkeit. Wir hatten angenommen, Dinge, die diese Natur hervorgebracht hatte, wären mit unseren Geräten zu bewältigen. In einem Fall hatte man bereits begonnen, aus zwei Maschinen eine zu machen, und es zeichnete sich ab, daß die Messerregenerierung nicht nachkommen würde…
    Alles in allem strahlte die Feier Optimismus aus, und für mich brachte sie eine Art Höhepunkt: Gus und ich hatten fast einen dreiviertel Tag für uns, das dritte- oder viertemal in diesen hundert Tagen. Und beinahe hätte ich es vergessen: Wir gaben der ersten Siedlung auf Neuerde feierlich einen Namen, der später allenthalben beredet, teils begrüßt, teils hingenommen, teils bespöttelt wurde. Wir tauften die Stadt »Ziel«.

    Wir hatten zu diesem Zeitpunkt dreihundertsiebenundzwanzig schulpflichtige Kinder, die wir auf zwanzig Klassenräume verteilen und mit zweiundzwanzig Lehrern betreuen konnten, also unter relativ guten Bedingungen,

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