Der Untergang der Telestadt
tödlichen Unfälle den Vater einer Schülerin. Die Arbeiten draußen aber hielten die Erwachsenen in Bann, auch zeitlich. Mit einem Schlag hatte sich die Fürsorge für die Kinder gleichsam verflüchtigt. Der geregelte Alltag existierte nicht mehr, und wir stellten zunächst erstaunt, später entsetzt fest, daß die wohldurchdachte, bis ins kleinste organisierte, auf hohe Effekte programmierte Erziehungs- und Betreuungsmaschinerie nicht funktionierte.
Niemand hätte es für möglich gehalten, daß das Ausbleiben der Eltern abends, das Fehlen des freundlichen Wortes vor dem Zubettgehen, die ein, zwei Stunden persönliches Befassen mit den Kindern tagsüber, das jetzt wegfiel, und eben all das verschwundene Gewohnte solche verheerenden Folgen haben würde. Aber Hand aufs Herz, wenn schon uns, die wir uns als Pioniere dünkten, der Schreck in den Gliedern saß, was wollten wir von den Kindern erwarten, die bislang aufs beste betreut, versorgt, bemuttert aufwuchsen?
Natürlich waren Tagesablauf und Tagesversorgung geregelt. Jeder hatte sein Frühstück, seine warme Mahlzeit, seine saubere Kleidung, seine Möglichkeit zur Freizeitbeschäftigung. Offenbar aber waren die Personenkontakte, die wir ja auch seit einem Jahrhundert als einen der wichtigsten Faktoren der Persönlichkeitsbildung nicht nur predigten, sondern kultivierten, nicht mehr ersatzlos zu streichen.
Anfangs gab es eine festgeschriebene Stunde, in der die im Schiff Zurückgebliebenen über das, was sich draußen tat, informiert wurden. Daher wußte ich, daß ein außerordentliches Pflanzengewirr sich dem Eindringen widersetzte, daß eine ausgeprägte Tierwelt mit lebensbedrohenden Spezies unberechenbar lauerte, daß diese ungeheure Schwüle, die ich schon kennenlernte, keine Tageserscheinung war und die Himmelssturzbäche mit wenigen Ausnahmen täglich herniederprasseln würden. Dabei sollte dieses, nach irdischen Begriffen, die gemäßigte Klimazone des Planeten sein…
Wir sahen also anfänglich Kurzfilme von dem Herangehen draußen, schwitzende, erschöpfte Menschen, die täglich zwölf und mehr Stunden buchstäblich schufteten, und zwar zunehmend von Hand, denn unsere großartigen Maschinen erwiesen sich nicht allen Einsatzbedingungen gewachsen. Zum Beispiel gab es eine weitverbreitete Holzart, die in den Kapillaren zu einer Art Marmor versteinert. Dies spielte den mechanischen Messern und Äxten außerordentlich arg mit, und wir bemerkten es erst, als der Schaden bereits beträchtlich war.
Ein Umstand machte gewaltig zu schaffen: Hohe Luftfeuchtigkeit, magnetische Ströme und elektrische Potentiale verursachten eine vorzeitige Entladung unserer Akkumulatoren, und noch hatten die Techniker keine Lösung, so daß Stillstände eintraten, weil die Ladestationen, die im Schiff – die immer größere Transportstrecken bedeuteten – und die provisorischen draußen, den Bedarf nicht deckten. Weitere Stationen bedingten Umschlüsse größeren Ausmaßes. Das Energiesparprogramm wirkte so. von Stund an.
Kurzum, diesen ersten Anstrengungen, auf Neuerde Fuß zu fassen, wohnten wir bei. Aber schon nach zwanzig Tagen traten Lücken in der Information auf, wurden Wiederholungen eingespielt. Dann verunglückte ein Kamerateam, es gab Schwierigkeiten mit der Aufnahmetechnik, die Magnetspeicher wurden labil. Direktübertragungen zeigten derartige Störungen, daß man die Wiedergabegeräte meist freiwillig abschaltete, Verdrahtungen blieben Wichtigerem vorbehalten.
Und immer mehr gerieten wir, »die vom Schiff«, jene also, die im trokkenen saßen, weitab, vom Schuß, von der Gefahr, von der eigentlichen Arbeit. Niemand sah unsere Probleme…
Ab und an hatte ich schon Gelegenheit, mit Gus zu sprechen, obwohl er sich eigentlich ständig draußen im Einsatz befand. Aber auch er hatte für meine Ängste kein Ohr. »Was willst du«, erinnere ich mich eines Disputs, »ihr habt die besten Bedingungen, wie eh und je. Und wenn eben solche Einflüsse da sind, na, meine Güte, dann müßt ihr euch etwas einfallen lassen, mal über das Normale hinaus. Vielleicht ist es falsch, auch wenn es ohnehin nur vorübergehend ist, euch im Schiff zu belassen, ihr verliert den Kontakt zum Leben…«
Nach vierzehn Tagen faßte ich mir ein Herz und bat, ermuntert von meinen Kollegen, um einen Termin beim Commodore, der sein Hauptquartier draußen in einem Container aufgeschlagen hatte.
Es dauerte weitere vierzehn Tage, bis ich den Termin bekam.
Ich war schon ein wenig aufgeregt, als
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