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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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die überall ein gleichartiges Grundschema von Torbau, Seitengebäuden, Höfen und Hallen zugleich mit der streng durchgehaltenen Nord-Süd-Achse aller Anlagen festgehalten hat und die schließlich zu einem so grandiosen Entwerfen von Grundrissen und einem Schalten über Bodenstrecken und Räume geführt hat, daß man füglich von einem Bauen und Rechnen mit der Landschaft selber reden kann.« [O. Fischer, Chinesische Landschaftsmalerei (1921) S. 24. Die große Schwierigkeit der chinesischen – und ebenso der indischen – Kunst besteht für uns darin, daß alle Werke der Frühzeit, nämlich des Hoanghogebiets zwischen 1300 und 800 v. Chr. und ebenso des vorbuddhistischen Indien, spurlos verschwunden sind. Was wir heute chinesische Kunst nennen, entspricht der ägyptischen etwa seit der 20. Dynastie. Die großen Malerschulen finden in den Bildhauerschulen der Saïten- und Ptolemäerzeit ihre Parallele, auch in dem Auf und Ab von raffinierten und archaischen Geschmacksrichtungen ohne innere Entwicklung. An dem Beispiel Ägyptens kann man ermessen, bis zu welchem Grade Rückschlüsse auf die Kunst der frühen Dschou- und Vedazeit erlaubt sind.] Der Tempel ist kein Einzelbau, sondern eine Anlage, in welcher Hügel und Wasser, Bäume, Blumen und bestimmt geformte und angeordnete Steine ebenso wichtig sind wie Tore, Mauern, Brücken und Häuser. Diese Kultur ist die einzige, in welcher die Gartenkunst eine religiöse Kunst großen Stils ist. Es gibt Gärten, die das Wesen bestimmter buddhistischer Sekten widerspiegeln. [C. Glaser, Die Kunst Ostasiens (1920), S. 181. Vgl. M. Gothein, Geschichte der Gartenkunst (1914), II, S. 331 ff.] Aus der Architektur der Landschaft erst erklärt sich die der Bauten, ihr flaches Sich-erstrecken und die Betonung des Daches als des eigentlichen Ausdrucksträgers. Und wie die verschlungenen Wege durch Tore, über Brücken, um Hügel und Mauern doch endlich zum Ziel führen, so leitet die Malerei den Betrachter von einer Einzelheit zur andern, während das ägyptische Relief ihn herrisch in eine strenge Richtung verweist. »Das ganze Bild soll nicht mit einem einzigen Blick umfaßt werden. Die zeitliche Abfolge setzt eine Folge von Raumteilen voraus, durch die der Blick vom einen zum anderen wandern soll.« [Glaser, S. 43.] Die ägyptische Architektur überwältigt das Bild der Landschaft, die chinesische schmiegt sich ihm an; in beiden Fällen aber ist es die Tiefenrichtung, die das Erlebnis des Raum
werdens
immer gegenwärtig erhält.
8
    Alle Kunst ist
Ausdruckssprache
. [Vgl. Bd. II, S. 691 f.] Und zwar in den allerfrühesten Ansätzen, die tief in die Tierwelt hinabreichen, die Sprache eines bewegten Wesens nur für sich selbst. Man denkt gar nicht an den Zeugen, obwohl in seiner Abwesenheit der Ausdruckstrieb von selbst verstummen würde. Noch in sehr späten Zuständen gibt es oft statt Künstler und Zuschauer nur eine Menge von Kunsterzeugenden. Alle tanzen, mimen und singen, und der »Chor« als Inbegriff der Anwesenden ist nie ganz aus der Kunstgeschichte verschwunden. Erst die höhere Kunst ist entschieden »Kunst vor Zeugen«, vor allem, wie Nietzsche einmal bemerkt hat, vor dem höchsten Zeugen: Gott. [Auch die monologische Kunst sehr einsamer Naturen ist in Wirklichkeit Zwiesprache mit sich selbst als einem Du. – Nur in der Geistigkeit der großen Städte wird der Ausdruckstrieb vom Mitteilungstrieb überwältigt (Bd. II, S. 691). Daraus entsteht jene Tendenzkunst, die belehren, bekehren und beweisen will, seien es politisch-soziale oder moralische Ansichten, und gegen die sich in der Formel »
l'art pour l'art
« dann wieder weniger eine Übung als eine Meinung auflehnt, die sich der ursprünglichen Bedeutung des künstlerischen Ausdrucks wenigstens erinnert.]
    Dieser Ausdruck ist entweder
Ornament oder Imitation
. Das sind
hohe
Möglichkeiten, deren Gegensatz in den Anfängen kaum fühlbar wird. Und zwar ist Imitation unbedingt das ursprünglichere, der Rasse näherstehende. Die Imitation geht von dem physiognomisch erfaßten Du aus, das unwillkürlich zum Mitschwingen im Lebenstakte lockt; das Ornament zeugt von einem seiner Eigenart bewußten Ich. Jene ist in der Tierwelt weit verbreitet, dieses gehört dem Menschen fast allein.
    Die Imitation ist aus dem geheimen Rhythmus alles Kosmischen geboren. Für ein waches Wesen erscheint das Eine zerdehnt und ausgespannt: ein Hier und ein Dort, ein eignes und ein fremdes Etwas; ein Mikrokosmos in bezug auf einen Makrokosmos als

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