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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Kulturen bleibt nichts erhalten, von ihren Bildern und Dichtungen wenig, und auch dieses Wenige enthält beinahe nur die ornamentale Seite der ursprünglichen Imitation, von einem großen Schauspiel nur den Text, nicht das Bild und den Klang, von einem Gedicht nur die Worte, nicht den Vortrag, von aller Musik bestenfalls die Noten, nicht die Tonfarben der Instrumente. Das Wesentliche ist unwiderruflich vergangen, und jede »Wiederholung« ist etwas Neues und anderes.] Dagegen ist ein Ornament etwas Zeitentrücktes, reine, gefestigte, verharrende Ausdehnung. Während eine Imitation etwas ausdrückt,
indem sie sich vollzieht
, kann es ein Ornament nur, indem es fertig vor den Sinnen steht. Es ist das Seiende selbst, unter gänzlichem Absehen von seiner Entstehung. Jede Imitation besitzt Anfang und Ende, ein Ornament besitzt nur Dauer. Deshalb kann nur ein
Einzel
schicksal nachgebildet werden wie das der Antigone oder Desdemona. Durch ein Ornament, ein Symbol bezeichnen läßt sich nur die Schicksalsidee überhaupt, die antike etwa durch die dorische Säule. Jene setzt ein Talent voraus, diese auch noch ein erlernbares Wissen.
    Es gibt eine Grammatik und Syntax der Formensprache aller strengen Künste, mit Regeln und Gesetzen, mit innerer Logik und Tradition. Das gilt nicht nur von den Bauhütten der dorischen Tempel und gotischen Dome, von den Bildhauerschulen Ägyptens, [Über die Werkstatt des Thutmes in Tell el Amarna vgl. Mitt. d. Deutsch. Orient-Ges. N. 52, S. 28 ff.9] Athens und der nordfranzösischen Kathedralplastik, von den chinesischen und antiken Malerschulen und denen in Holland, am Rhein und in Florenz, sondern auch von den festen Regeln der Skalden und Minnesänger, die handwerksmäßig gelernt und geübt wurden, und zwar nicht nur in Satzgliederung und Versbau, sondern auch in Gebärdensprache und Bilderwahl, [K. Burdach, Deutsche Renaissance, S. 11. Ebenso besitzt die gesamte bildende Kunst der gotischen Zeit eine feste Typik und Symbolik.] von der Erzählungstechnik des vedischen, homerischen und keltisch-germanischen Epos, vom Satzbau und Tonfall der gotischen Predigt, der deutschen wie der lateinischen, und endlich von der antiken rednerischen Prosa [E. Norden, Antike Kunstprosa, S. 8 ff.] und den Regeln des französischen Dramas. Im Ornamentalen eines Kunstwerks spiegelt sich die heilige Kausalität des Makrokosmos wider, wie sie dem Empfinden und Verstehen einer Art Mensch erscheint. Beides hat System. Beides ist durchdrungen von den Grundgefühlen der
religiösen
Seite des Lebens:
Fürchten
und Lieben. [Vgl. Bd. II, S. 880.] Ein echtes Symbol kann Furcht einflößen oder von Furcht befreien. Das »Richtige« erlöst, das »Falsche« quält und drückt nieder. Dagegen steht die nachahmende Seite der Künste den eigentlichen Rassegefühlen näher:
Hassen
und
Lieben
. Hier entspringt der Gegensatz von häßlich und schön. Er bezieht sich durchaus auf Lebendiges, dessen innerer Rhythmus abstößt oder mit sich zieht, auch wenn es sich um Wolken im Abendrot oder um den verhaltenen Atem einer Maschine handelt. Eine Nachahmung ist schön, ein Ornament ist
bedeutend
. Darin liegt der Unterschied von Richtung und Ausdehnung, organischer und anorganischer Logik, Leben und Tod. Was man schön findet, ist »nachahmenswert«. Es verlockt in leisem Mitschwingen zum Nachbilden, Mitsingen, Wiederholen; es »läßt das Herz höher schlagen« und die Glieder zucken. Es berauscht bis zum jauchzenden Überschwang, aber weil es zur Zeit gehört, so hat es auch »seine Zeit«. Ein Symbol dauert; alles Schöne aber vergeht mit dem Lebenspulsschlag dessen, der es aus dem kosmischen Takt heraus als solches empfindet, sei es ein einzelner, ein Stand, Volk oder Rasse. Nicht nur ist »die Schönheit« antiker Bildwerke und Dichtungen in antiken Augen etwas anderes als für uns, und mit der antiken Seele unwiederbringlich erloschen – denn was wir daran »schön finden«, ist wiederum ein nur für uns vorhandener Zug; nicht nur ist, was für eine Art von Leben schön ist, für eine andre gleichgültig oder häßlich, wie unsre gesamte Musik für Chinesen oder die mexikanische Plastik für uns; sondern für ein und dasselbe Leben ist das Gewohnte, das
Gewöhnliche
, als etwas Dauerndes niemals schön.
    Damit erst erscheint der Gegensatz dieser beiden Seiten jeder Kunst in seiner vollen Tiefe: die Nachahmung beseelt und belebt, die Ornamentik bannt und tötet. Jene »wird«, diese »ist«. Jene ist deshalb der Liebe verwandt,

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