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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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vor allem – in Lied, Rausch und Tanz der
Geschlechtsliebe
, in welcher sich das Dasein der Zukunft entgegenwendet, diese der Sorge um Vergangenes, der Erinnerung, [Daher der ornamentale Charakter
der Schrift
.] der
Bestattung
. Das Schöne wird sehnsüchtig gesucht, das Bedeutende flößt Angst ein. Deshalb gibt es keinen innerlicheren Gegensatz als
das Haus der Lebenden und das der Toten
. [Vgl. Bd. I, S. 241f.] Das Bauernhaus [Vgl. Bd. II, S. 660.] und von ihm aus der Edelhof, die Pfalz und Burg sind Gehäuse des Lebens, unbewußter Ausdruck strömenden Blutes, den keine Kunst schuf oder ändern kann. Die Idee der Familie erscheint im Grundriß des Urhauses, die innere Form des Stammes im Grundriß der Dörfer, der noch nach Jahrhunderten und nach manchem Wechsel der Bewohner die Rasse der Gründer erkennen läßt, [ So die slawischen Ringdörfer und die germanischen Straßendörfer östlich der Elbe. Ebenso läßt sich aus der Verbreitung der Rundhütten und Rechteckhäuser im antiken Italien auf manche Ereignisse der homerischen Zeit schließen.] das Leben einer Nation und ihre gesellschaftliche Gliederung im Grundriß – nicht im Aufriß, der Silhouette! – der Stadt. [Vgl. Bd. II, S. 663f.] Auf der andern Seite entwickelt sich die Ornamentik großen Stils an den starren Symbolen des Todes, der Graburne, dem Sarkophag, dem Grabdenkmal und Totentempel, [Vgl. Bd. I, S. 215.] und darüber hinaus an den Göttertempeln und Domen,
die durch und durch Ornament sind
, Ausdruck nicht einer Rasse, sondern die Sprache einer Weltanschauung, durch und durch reine Kunst, so wie das Bauernhaus und die Burg mit Kunst gar nichts zu tun haben. [Vgl. Bd. II, S. 698.]
    Beide sind vielmehr Gebäude,
in denen
Kunst gemacht wird, und zwar die eigentlich nachbildende Kunst: das vedische, homerische, germanische Epos, der Heldensang, der bäuerliche und ritterliche Tanz, das Spielmannslied. Der Dom dagegen ist nicht nur Kunst, sondern auch die einzige, durch die
nichts nachgeahmt
wird. Sie allein ist ganz Spannung verharrender Formen, ganz dreidimensionale Logik, die sich in Kanten, Flächen und Räumen ausspricht. Die Kunst der Dörfer und Burgen stammt aus der Laune des Augenblicks, aus Gelächter und Übermut an der Tafel und beim Spiel, und haftet an der Zeit bis zu dem Grade, daß der Troubadour seinen Namen vom Erfinden hat und die
Improvisation
– wie heute noch in der Zigeunermusik – nichts ist als Rasse, die sich unter der Macht der Stunde fremden Sinnen offenbart. Dieser freien Gestaltungskraft setzt alle geistliche Kunst die strenge
Schule
entgegen, in welcher der einzelne der Logik zeitloser Formen dient, im Hymnus wie im Bauen und Bilden. Deshalb ist in allen Kulturen der frühe Kultbau der eigentliche Sitz der Stilgeschichte. In den Burgen hat das Leben Stil, nicht der Bau. In den Städten ist der Grundriß ein Abbild der
Schicksale
eines Volkes; nur die in der Silhouette aufragenden Türme und Kuppeln reden von der
Logik im Weltbild ihrer Erbauer
, den letzten Ursachen und Wirkungen in ihrem All.
    Der Stein dient im Bau der Lebenden einem weltlichen
Zweck
; im Kultbau ist er ein
Symbol
[Vgl. Bd. I, S. 167f.] Die Geschichte der großen Architekturen hat durch nichts schwerer gelitten als dadurch, daß man sie für die Geschichte von Bautechniken hielt statt für die von Baugedanken, die ihre technischen Ausdrucksmittel nahmen, wo sie sie fanden. Es ist wie in der Geschichte der Musikinstrumente, [Vgl. Bd. I, S. 84.] die ebenfalls auf eine Tonsprache hin entwickelt wurden. Ob das Keilschnittgewölbe, der Strebepfeiler und die Trompenkuppel für einen großen Baustil eigens herausgebildet wurden oder ob man sie in der Nähe oder Ferne irgendwie vorfand und in Verwendung nahm, ist für die
Kunst
geschichte ebenso gleichgültig wie die Frage, ob die Streichinstrumente
technisch
aus Arabien oder einem keltischen Britannien stammen. Mag die dorische Säule handwerksmäßig den Tempeln des ägyptischen Neuen Reiches, der spätrömische Kuppelbau den Etruskern, der florentinische Hallenhof den nordafrikanischen Mauren entlehnt sein – der dorische Peripteros, das Pantheon, der Palazzo Farnese gehören trotzdem einer ganz andern Welt an; sie dienen dem künstlerischen Ausdruck des Ursymbols dreier Kulturen.
9
    Es gibt demnach in jeder Frühzeit
zwei
eigentlich ornamentale, nicht imitierende Künste, die des Bauens und des Verzierens. In der voraufgehenden Vorzeit, den Jahrhunderten des Ahnens und der Schwangerschaft,

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