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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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gehört der Ornamentik im engeren Sinne die Welt des elementaren Ausdrucks
allein
. Die Karolingerzeit wird
nur
durch sie repräsentiert. Ihre Bauversuche stehen »zwischen den Stilen«. Es fehlt ihnen die Idee. Und ebenso haben wir mit dem Verlust aller mykenischen Bauten kunstgeschichtlich nichts verloren. [Das gilt nicht weniger von den Bauanlagen der ägyptischen Thinitenzeit und den seleukidisch-persischen Sonnen- und Feuertempeln der vorchristlichen Jahrhunderte.] Mit dem Anbruch der großen Kultur aber erhebt sich plötzlich
der Bau als Ornament
zu einer solchen Gewalt des Ausdrucks, daß für ein Jahrhundert fast die bloße Verzierung scheu zurückweicht. Die aus Stein gebildeten Räume, Flächen und Kanten reden
allein
. Im Grabtempel des Chephren wird der Gipfel mathematischer Einfalt erreicht; überall rechte Winkel, Quadrate, rechteckige Pfeiler; kein Schmuck, keine Inschrift, kein Übergang. Das die Spannung mildernde Relief wagt sich erst einige Generationen später in die hehre Magie dieser Räume. Und ebenso die edle Romanik Westfalens und Sachsens (Hildesheim, Gernrode, Paulinzella, Paderborn), Südfrankreichs und der Normannen (Norwich, Peterborough in England), die mit einer unbeschreiblichen inneren Wucht und Würde den ganzen Sinn der Welt in
eine
Linie,
ein
Kapitäl,
einen
Bogen zu legen vermochte.
    Erst auf dem Gipfel der frühzeitlichen Formenwelt ordnet sich das Verhältnis dahin, daß der Bau die Herrschaft führt und ein reiches Ornament ihm dient, und zwar Ornament im allerweitesten Sinne. Denn dazu gehört nicht nur das antike
Einzel
motiv mit seiner ruhend abgewogenen Symmetrie oder mäandrischen Addition, [Z. folg. Worringer, Formprobleme der Gotik, S. 36 ff.] die
flächenüberspinnende
Arabeske und die ihr nicht unähnlichen Flächenmuster der Maya, das »Donnermuster« und andere Motive aus früher Dschouzeit, die wiederum beweisen, daß die altchinesische Architektur Gestaltung der Landschaft ist, und die ganz zweifellos ihren Sinn erst durch die Linien der Gartenumgebung erhalten, in welche die Bronzevasen hineinkomponiert waren. Sondern ornamental empfunden sind auch die Kriegergestalten auf Dipylonvasen und in noch viel höherem Grade die Statuen
scharen
gotischer Dome. Es »wurden Figuren vom Beschauer aus in Pfeiler hineinkomponiert und die Pfeilerfiguren im Verhältnis zum Beschauer aneinandergereiht wie rhythmische Fugen einer zum Himmel aufsteigenden und nach allen Seiten ausklingenden Symphonie. « [Dvorak, Idealismus und Naturalismus in der got. Skulptur und Malerei, Hist. Zeitschrift 1918, S. 44 f.] Die Gewandfalten, Gebärden, Bildertypen, aber auch der hymnische Strophenbau und die Parallelführung der Stimmen im Kirchengesang sind Ornament im Dienste des alles beherrschenden Baugedankens. [Zum Ornament im höchsten Sinne gehört endlich die
Schrift
und damit das
Buch
, welches das eigentliche Seitenstück zum Kultbau ist und als Kunstwerk stets mit diesem erscheint oder fehlt (Bd. II, S. 739f., 855f.). In der Schrift hat nicht das
Schauen
, sondern das
Verstehen
Gestalt gewonnen. Es sind nicht Wesenheiten, sondern durch Worte von ihnen abgezogene Begriffe, welche durch diese Zeichen symbolisiert werden, und da das Gegenüber des sprachgewohnten menschlichen Geistes der starre Raum ist, so wird das Ursymbol einer Kultur außer im Steinbau nirgends reiner ausgedrückt als in einer Schrift. Es ist ganz unmöglich, die Geschichte der Arabeske zu verstehen, wenn man die der zahllosen arabischen Schriftarten außer acht läßt, und von der ägyptischen und chinesischen Stilgeschichte ist die der Schriftzeichen, ihrer Anordnung und Anbringung nicht zu trennen.] Erst zu Beginn der Spätzeiten ist der Bann der großen Ornamentik gebrochen. Die Architektur tritt in eine
Gruppe
städtischer, weltlicher Sonderkünste ein, die in steigendem Grade gefällig und geistreich nachahmend und damit persönlich werden. Von Imitation und Ornament gilt dasselbe, was oben von Zeit und Raum gesagt wurde: die Zeit gebiert den Raum, der Raum aber tötet die Zeit. [Vgl. Bd. I, S. 224.] Zu Anfang hatte die starre Symbolik alles Lebendige versteint. Der Leib einer gotischen Statue soll gar nicht leben; er ist nur ein Liniengebilde in menschlicher Form. Jetzt verliert das Ornament alle heilige Strenge und wird mehr und mehr zum Schmuck der baulichen Umgebung eines vornehmen und formvollen Lebens.
Nur als solcher, verschönernd
nämlich, ist der Renaissancegeschmack von der höfischen und

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