Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
patrizischen Welt des Nordens – nur von dieser! – angenommen worden. [Vgl. Bd. II, S. 924.] Ornament bedeutet im Alten Reiche etwas ganz anderes als im Mittleren, im geometrischen Stil etwas ganz anderes als im Hellenismus, für uns um 1200 etwas ganz anderes als um 1700. Und auch die Architektur malt und musiziert zuletzt, und ihre Formen scheinen jederzeit im Begriff, irgend etwas aus dem Bilde der Umwelt nachzuahmen. So erklärt sich der Weg vom ionischen zum korinthischen Kapitäl und von Vignola über Bernini zum Rokoko.
    Mit dem Anbruch der Zivilisation endlich erlischt das echte Ornament und damit die
große
Kunst überhaupt. Den Übergang bilden, und zwar in irgendeiner Form in jeder Kultur, »
Klassizismus und Romantik
«. Jener bedeutet die Schwärmerei für ein Ornament – Regeln, Gesetze, Typen –, das längst altertümlich und seelenlos geworden ist, diese eine schwärmerische Imitation – nicht des Lebens, sondern einer
früheren Imitation
. An Stelle des Baustils tritt ein Baugeschmack. Malweisen, literarische Manieren, alte und moderne, einheimische und fremdartige Formen wechseln mit der Mode. Die innere Notwendigkeit fehlt. Es gibt keine »Schule« mehr, weil jeder die Motive wählt, wie und wo er will.
Die Kunst wird zum Kunstgewerbe
, und zwar in ihrem vollen Umfang, in Architektur und Musik, im Vers wie im Drama. Es entsteht zuletzt ein bildnerischer wie ein literarischer Formenschatz, der ohne alle tiefere Bedeutung mit Geschmack gehandhabt wird. In dieser letzten, völlig geschichts- und entwicklungslos gewordenen Form steht das kunstgewerbliche Ornament vor uns in den Mustern orientalischer Teppiche, persischer und indischer Metallarbeiten, chinesischer Porzellane, aber auch in der ägyptischen (und babylonischen) Kunst, wie sie die Griechen und Römer antrafen. Reines Kunstgewerbe ist die minoische Kunst auf Kreta, ein nördlicher Ausläufer ägyptischen Geschmacks seit der Hyksoszeit, und ganz dieselbe Rolle einer komfortablen Gewohnheit und geistvollen Spielerei füllt die »gleichzeitige« hellenistisch-römische Kunst etwa seit Scipio und Hannibal aus. Vom prunkvollen Gebälk des Nervaforums in Rom bis zur späteren Provinzkeramik im Westen vollzieht sich dieselbe Ausbildung eines unveränderlichen Kunstgewerbes, die sich auch in Ägypten und der islamischen Welt verfolgen läßt und in Indien und China in den Jahrhunderten nach Buddha und Konfuzius vorausgesetzt werden muß.
10
    Man begreift nun, gerade aus dem Unterschied von Dom und Pyramidentempel trotz aller tief innerlichen Verwandtschaft, das gewaltige Phänomen der faustischen Seele, deren Tiefendrang sich nicht in das Ursymbol des Weges bannen ließ, sondern von den frühesten Anfängen an über alle Grenzen optisch gebundener Sinnlichkeit hinausstrebt. Kann etwas dem Sinne des ägyptischen Staates, dessen Tendenz man als eine erhabene Nüchternheit bezeichnen möchte, fremder sein als der politische Ehrgeiz der großen Sachsen-, Franken- und Staufenkaiser, die am Überfliegen aller staatlichen Wirklichkeiten zugrunde gingen? Die Anerkennung einer Grenze wäre ihnen gleichbedeutend mit der Herabwürdigung der Idee ihres Herrschertums gewesen. Hier tritt der unendliche Raum als Ursymbol in seiner ganzen unbeschreiblichen Macht in den Umkreis tätig-politischen Daseins, und man könnte zu den Gestalten der Ottonen, Konrads II., Heinrichs VI. und Friedrichs II., die Normannen als Eroberer Rußlands, Grönlands, Englands, Siziliens und beinahe auch Konstantinopels, und die großen Päpste Gregor VII. und Innocenz III. fügen, die alle ihre sichtbare Machtsphäre mit der damals bekannten Welt gleichsetzen wollten. Dies unterscheidet die homerischen Helden mit ihrem geographisch so genügsamen Gesichtskreis von den stets im Unendlichen schweifenden Helden der Grals-, Artus- und Siegfriedsage. Dies unterscheidet auch die Kreuzzüge, zu denen die Krieger von den Ufern der Elbe und Loire bis zu den Grenzen der bekannten Welt ausritten, von den geschichtlichen Ereignissen, welche der Ilias zugrunde liegen und auf deren örtliche Enge und Übersehbarkeit man aus dem Stil des antiken Seelentums mit Sicherheit schließen darf.
    Die dorische Seele verwirklichte das Symbol des leibhaft gegenwärtigen Einzeldinges, indem sie auf alle großen und weitreichenden Schöpfungen Verzicht leistete. Es hat seinen guten Grund, wenn die erste nachmykenische Zeit unseren Archäologen nichts hinterlassen hat. Ihr endlich erreichter Ausdruck ist der

Weitere Kostenlose Bücher