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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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dorische Tempel, der nur nach außen, als massives Gebilde in der Landschaft gelegen, wirkt und den künstlerisch überhaupt unbeachteten Raum in sich als das μη ον, das was gar nicht da sein sollte, verleugnet. Die ägyptische Säulenreihe trug die Decke eines Saales. Der Grieche entlehnte das Motiv und wandte es in seinem Sinne an, indem er den Bautypus wie einen Handschuh umkehrte. Die äußeren Säulenstellungen sind gewissermaßen Reste eines verneinten Innenraums. [Es steht wohl außer Zweifel, daß die Griechen, als sie vom Antentempel zum Peripteros kamen, zur selben Zeit, wo die Rundplastik sich ebenfalls an unzweifelhaft ägyptischen Vorbildern vom Reliefmäßigen befreite, das noch den Apollofiguren anhaftet, unter dem mächtigen Eindruck ägyptischer Säulen
reihen
standen. Das läßt die Tatsache unberührt, daß das Motiv der antiken Säule und die antike Verwendung des Reihenprinzips etwas vollkommen Selbständiges sind.]
    Demgegenüber ließen die magische und die faustische Seele ihre steinernen Traumgebilde als Überwölbungen bedeutungsvoller Innenräume emporsteigen, deren Struktur den Geist zweier Mathematiken, der Algebra und der Analysis, vorwegnimmt. In der von Burgund und Flandern ausstrahlenden Bauweise bedeuten die Kreuzrippengewölbe mit ihren Stichkappen und Strebepfeilern eine Auflösung des geschlossenen, durch sinnlich-greifbare Grenzflächen bestimmten Raumes überhaupt . [Des begrenzten Raumes, nicht des Steins: Dvorák, Histor. Zeitschrift 1918, S. 17 f.] Im magischen Innenraum »sind die Fenster lediglich ein negatives Moment, eine in keiner Weise noch zur Kunstform fortgebildete Nutzform, derb ausgedrückt nichts als Löcher in der Wand«. [Dehio, Gesch. d. d. Kunst I, S. 16.] Wo sie praktisch unentbehrlich waren, wurden sie für den künstlerischen Eindruck durch Emporen verdeckt wie in der morgenländischen Basilika. Die
Architektur des Fensters
ist eins der bedeutendsten Symbole des faustischen Tiefenerlebnisses und gehört ihm allein. Hier wird der Wille fühlbar, aus dem Innern ins Grenzenlose zu dringen, wie es später die in diesen Wölbungen heimische Musik des Kontrapunktes wollte, deren körperlose Welt immer die der ersten Gotik geblieben ist. Wo auch in späteren Zeiten die polyphone Musik zu ihren höchsten Möglichkeiten emporstieg wie in der Matthäuspassion, der Eroica und Wagners Tristan und Parsifal, wurde sie mit innerster Notwendigkeit
domhaft
und kehrte zu ihrer Heimat, zur steinernen Sprache der Kreuzzugszeit zurück. Die ganze Wucht einer tiefsinnigen Ornamentik mit ihren seltsam schauerlichen Umbildungen von Pflanzen, Tier- und Menschenleibern (St. Pierre in Moissac), welche die abgrenzende Wirkung des Gesteins leugnet, welche alle Linien in Melodien und Figurationen eines Themas, alle Fassaden in vielstimmige Fugen, die Leiblichkeit der Statuen in Musik der Gewandfaltung auflöst, mußte zu Hilfe kommen, um jeden antiken Hauch von Körperlichem zu bannen. Erst dies gibt den riesigen Glasfenstern der Dome mit ihrer farbigen,
durchleuchteten, also völlig stofflosen Malerei
– eine Kunst, die sich niemals und nirgends wiederholt und die den stärksten überhaupt denkbaren Gegensatz zum antiken Fresko bildet – ihren tiefen Sinn. Er wird am deutlichsten etwa in der Sainte Chapelle zu Paris, in welcher neben dem leuchtenden Glas der Stein beinahe verschwunden ist. Im Gegensatz zum Fresko, dem mit der Wand körperlich verwachsenen Gemälde, dessen Farben als Materie wirken, finden wir hier Farben von der räumlichen Freiheit der Orgeltöne, völlig vom Medium einer tragenden Fläche gelöst, Gestalten, die frei im Unbegrenzten schweben. Mit dem faustischen Geiste dieser fast wandlosen, hochgewölbten, farbig durchschimmerten, zum Chore strebenden Kirchenschiffe vergleiche man die Wirkung arabischer – also altchristlich-byzantinischer – Kuppelbauten. Auch die über der Basilika oder dem Oktogon scheinbar frei schwebende Hängekuppel bedeutet eine Überwindung des antiken Prinzips der natürlichen Schwere, wie sie das Verhältnis von Säule und Architrav ausdrückt. Auch hier verleugnet sich alles Körperliche im Bau. Es gibt kein »Außen«. Aber um so entschiedener schließt die allseitig dichtgefügte Wand eine Höhle ein, aus der kein Blick, keine Hoffnung hinausdringt. Eine geisterhaft verwirrende Durchdringung der Formen von Kugel und Polygon, eine Last auf einem Steinring gewichtslos über dem Boden schwebend und das Innere dicht verschließend,

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