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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Geschichte in den Kreis der Betrachtung. Das Wort Weltgeschichte bezeichnet im Munde dieser Denker einen einmaligen, höchst dramatischen Akt, dessen Schauplatz die Landschaft zwischen Hellas und Persien war. In ihm gelangt das streng dualistische Weltgefühl des Morgenländers zum Ausdruck, nicht polar wie in der gleichzeitigen Metaphysik durch den Gegensatz von Seele und Geist, Gut und Böse, sondern periodisch, [Im neuen Testament ist die polare Fassung mehr durch die Dialektik des Apostels Paulus, die periodische durch die Apokalypse vertreten.] als Katastrophe angeschaut, als Wende zweier Zeitalter zwischen Weltschöpfung und Weltuntergang, unter Absehen von allen Elementen, die nicht einerseits durch die antike Literatur, andrerseits durch die Bibel oder das heilige Buch, das in dem betreffenden System deren Stelle einnahm, fixiert waren. In diesem Weltbilde erscheint als »Altertum« und »Neuzeit« der damals handgreifliche Gegensatz von heidnisch und jüdisch oder christlich, antik und orientalisch, Statue und Dogma, Natur und Geist in
zeitlicher
Fassung, als Schauspiel der Überwindung des einen durch das andere. Der historische Übergang trägt die religiösen Merkmale einer Erlösung. Ohne Zweifel ein auf engen, durchaus provinzialen Ansichten beruhender, aber logischer und in sich vollkommener Aspekt, der indessen an dieser Landschaft und diesem Menschentum haftete und keiner
natürlichen
Erweiterung fähig war.
    Erst durch die Hinzufügung eines dritten Zeitalters –
unserer
»Neuzeit« – auf abendländischem Boden ist in das Bild eine Bewegungstendenz gekommen. Das orientalische Bild war
ruhend
, eine geschlossene, im Gleichgewicht verharrende Antithese, mit einer einmaligen göttlichen Aktion als Mitte. Von einer ganz neuen Art Mensch aufgenommen und getragen, wurde es nun plötzlich, ohne daß man sich des Bizarren einer solchen Änderung bewußt geworden wäre, in Gestalt einer
Linie
fortgesponnen, die von Homer oder Adam – die Möglichkeiten sind heute durch die Indogermanen, die Steinzeit und den Affenmenschen bereichert – über Jerusalem, Rom, Florenz und Paris hinauf oder hinab führte, je nach dem persönlichen Geschmack des Historikers, Denkers oder Künstlers, der das dreiteilige Bild mit schrankenloser Freiheit interpretierte.
    Man fügte also den
komplementären
Begriffen Heidentum und Christentum den
abschließenden
einer »Neuzeit« hinzu, die ihrem Sinne nach eine Fortsetzung des Verfahrens nicht gestattet, und, nachdem sie seit den Kreuzzügen wiederholt »gestreckt« worden ist, einer weiteren Dehnung nicht fähig erscheint. [Der verzweifelte und lächerliche Ausdruck »Neueste Zeit« läßt das erkennen.] Man war, ohne es auszusprechen, der Meinung, daß hier jenseits von Altertum und Mittelalter etwas Endgültiges beginne, ein drittes Reich, in dem irgendwie eine Erfüllung lag, ein Höhepunkt, ein Ziel, das erkannt zu haben von den Scholastikern an bis zu den Sozialisten unserer Tage jeder sich allein zuschrieb. Es war das eine ebenso bequeme als für ihren Urheber schmeichelhafte Einsicht in den Lauf der Dinge. Man hatte ganz einfach den Geist des Abendlandes, wie er sich im Kopfe eines einzelnen spiegelte, mit dem Sinn der Welt gleichgesetzt. Aus einer geistigen Not haben dann große Denker eine metaphysische Tugend gemacht, indem sie das durch den
consensus omnium
geheiligte Schema, ohne es einer ernsthaften Kritik zu unterziehen, zur Basis einer Philosophie erhoben und als Urheber ihres jeweiligen »Weltplanes« Gott bemühten. Die mystische Dreizahl der Weltalter hatte für den metaphysischen Geschmack ohnehin etwas Verführerisches. Herder nannte die Geschichte eine Erziehung des Menschengeschlechts, Kant eine Entwicklung des Begriffs der Freiheit, Hegel eine Selbstentfaltung des Weltgeistes, andere anders. Wer aber in die schlechthin gegebene Dreizahl der Abschnitte einen abstrakten Sinn gelegt hatte, glaubte über die Grundformen der Geschichte genügend nachgedacht zu haben.
    Gleich an der Schwelle abendländischer Kultur erscheint der große Joachim von Floris († 1202), [Burdach, Reformation, Renaissance, Humanismus (1918), S. 48 ff.] der erste Denker vom Schlage Hegels, der das dualistische Weltbild Augustins zertrümmert und mit dem Vollgefühl des echten Gotikers das neue Christentum seiner Zeit als etwas Drittes der Religion des Alten und Neuen Testaments entgegenstellt: die Zeitalter des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Er hat die besten

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