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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Wohnhause, auf den Sinn, in welchem die Gliederung des
Innenraumes
erfolgt ist. Die Moschee verschweigt sie, der Tempel kennt sie nicht. Der faustische Bau hat ein
»Gesicht«,
nicht nur eine Fassade – dagegen ist die Frontseite eines Peripteros eben nur eine Seite, und der Zentralkuppelbau besitzt der Idee nach nicht einmal eine Front –, und zum Gesicht, zum Haupt gesellt sich ein gegliederter Rumpf, der durch die weite Ebene zieht wie der Dom von Speyer oder sich zum Himmel aufreckt wie der von Reims mit den zahllosen Turmspitzen des ursprünglichen Entwurfs. Das
Motiv der Fassade,
die den Betrachter anblickt und vom inneren Sinn des Hauses zu ihm redet, beherrscht nicht nur unsre großen Einzelbauten, sondern das gesamte fensterreiche Bild unsrer Straßen, Plätze und Städte. [Vgl. Bd. II, S. 666. Ähnlich mögen die altägyptischen Straßenbilder gewesen sein, wenn man aus den in Knossos gefundenen Haustäfelchen schließen darf (H. Bossert, Alt-Kreta (1921), T. 14), und der Pylon ist ja eine echte Fassade.]
    Die frühe große Architektur ist die Mutter aller folgenden Künste. Sie bestimmt ihre Auswahl und ihren Geist. Deshalb ist die Geschichte der antiken bildenden Kunst die unablässige Arbeit an der Vollendung eines einzigen Ideals gewesen, der Eroberung des freistehenden menschlichen Körpers als dem Inbegriff der reinen, dinglichen Gegenwart. Man baute an dem Tempel des nackten Leibes, wie die faustische Musik vom frühesten Kontrapunkt bis zum Instrumentalsatz des 18. Jahrhunderts immer wieder einen Dom von Stimmen errichtet hat. Man hat das Pathos dieser durch Jahrhunderte verfolgten apollinischen Tendenz gar nicht verstanden, denn man hat nie gefühlt, daß es der rein stoffliche, seelenlose Körper ist – der Tempel auch des Leibes hat kein »Innen«! –, auf den das archaische Relief, die korinthische Tonmalerei und das attische Fresko zielen, bis Polyklet und Phidias ihn vollkommen zu bewältigen gelehrt haben. Man hielt mit einer erstaunlichen Blindheit diese Art von Plastik für eine allgemein gültige und überall mögliche, für die Plastik schlechthin, und schrieb ihre Geschichte und Theorie, in der alle Völker und Zeiten aufgeführt wurden; und unsre Bildhauer reden unter dem Eindruck ungeprüft hingenommener Renaissancelehren noch heute davon, daß der nackte menschliche Körper der vornehmste und eigentlichste Gegenstand »der« bildenden Kunst sei. In Wahrheit hat es diese den nackten Leib frei auf die Ebene stellende und allseitig durchbildende Statuenkunst nur einmal gegeben, eben in der Antike, und nur dort, weil es nur diese eine Kultur mit einer vollkommenen Ablehnung der Überschreitung sinnlicher Grenzen zugunsten des Raumes gab. Die ägyptische Statue war immer auf die Vorderansicht hin gearbeitet, mithin eine Abart des Flachreliefs, und die scheinbar antik empfundenen Statuen der Renaissance – man ist über ihre geringe Zahl erstaunt, sobald man einmal daran denkt, sie nachzuzählen [Ghiberti und selbst Donatello sind der Gotik noch nicht entwachsen; Michelangelo empfindet schon barock, d. h. musikalisch.] – sind nichts als eine halbgotische Reminiszenz.
    Die Entwicklung dieser unerbittlich
raumlosen
Kunst füllt die drei Jahrhunderte von 650-350, von der Vollendung der Dorik, die gleichzeitig mit dem Beginn einer Tendenz auf Befreiung der Figur von der frontalen ägyptischen Gebundenheit erfolgte – die Reihe der »Apollofiguren« [Déonna, Les Apollons archaïques (1909).] veranschaulicht das Ringen um die
Stellung
des Problems – bis zum Anbruch des Hellenismus und seiner Illusionsmalerei, die den großen Stil abschließt. Man wird diese Plastik nie würdigen können, wenn man sie nicht als letzte und höchste antike,
aus einer Flächenkunst hervorgegangene, der Freskomalerei erst gehorchende und dann sie überwindende Kunst begreift
. Gewiß läßt sich der technische Ursprung aus Versuchen herleiten, die hocharchaische Säule oder die zur Verkleidung der Tempelwand dienenden Platten figürlich zu behandeln; [Woermann, Gesch. der Kunst I (1915), S. 236. Für jenes dient die Hera des Cheramyes als Beispiel und die stets vorhandene Neigung, die Säulen in Karyatiden zu verwandeln; für dieses die Artemis des Nikander mit ihrer Beziehung zur ältesten Technik der Metopen.] und nachgeahmt hat man hier und da ägyptische Werke (Sitzbilder vom Didymaion bei Milet) obwohl sehr wenige griechische Künstler je eines gesehen haben können. Als
Formideal
aber geht die Statue

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