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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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auf dem Wege über das Relief aus der archaischen Tonmalerei hervor, aus der sich auch das Fresko entwickelt hat. Beide haften an der körperlichen Wand. Man kann diese Plastik bis auf Myron herab als ein von der Fläche gelöstes Relief betrachten. Die Figur wird endlich als Körper für sich neben dem Baukörper behandelt, aber sie bleibt Silhouette vor einer Wand. [Die meisten Werke sind Giebelgruppen oder Metopen, aber auch die Apollofiguren und die »Mädchen« von der Akropolis können nicht frei gestanden haben.] Unter Ausschluß der Tiefenrichtung wird sie frontal vor dem Betrachter ausgebreitet, und noch der Marsyas des Myron läßt sich ohne Mühe und ohne nennenswerte Verkürzungen auf Vasen und Münzen abbilden. [A. v. Salis, Kunst der Griechen (1919), S. 47, 98 f.] Deshalb hat von den beiden Spätkünsten großen Stils seit 650 das Fresko unbedingt die Führung. Der geringe Typenschatz ist immer zuerst durch Vasenbilder belegt, denen oft sehr viel spätere Skulpturen genau entsprechen. Wir wissen, daß die Kentaurengruppe des Westgiebels in Olympia nach einem Gemälde entworfen ist. Am Tempel von Ägina bedeutet die Entwicklung vom West- zum Ostgiebel einen Schritt vom Freskenhaften dem Körperhaften zu. Mit Polyklet vollzieht sich um 460 die Wendung, und von nun an werden plastische Gruppen umgekehrt vorbildlich für die strenge Malerei. Die
allseitige
körperliche Durchbildung wird aber erst von Lysipp ganz veristisch, als »Tatsache« durchgeführt. Bis dahin, sogar noch bei Praxiteles, findet sich ein seitliches Entfalten mit scharfem Umriß, der nur von ein oder zwei Standorten aus zur Geltung kommt.
    Ein bleibendes Zeugnis für die Herkunft der freien Plastik aus der Malerei ist die polychrome Behandlung des Marmors – von welcher Renaissance und Klassizismus nichts wußten und die sie als barbarisch empfunden haben würden [Gerade die entschiedene Vorliebe für den
weißen
Stein ist für den
Gegensatz
von antikem und Renaissance-Empfinden bezeichnend.] –, und ebenso die Statuen aus Gold und Elfenbein und die Emailverzierungen der im natürlichen Goldton leuchtenden Bronzen.
4
    Die entsprechende Stufe der abendländischen Kunst füllt die drei Jahrhunderte von 1500 bis 1800, vom Ende der Spätgotik bis zum Verfall des Rokoko und damit dem Ende des großen faustischen Stils überhaupt. In dieser Zeit hat sich, entsprechend dem immer stärker ins Bewußtsein tretenden Willen zur räumlichen Transzendenz, die Instrumentalmusik zur herrschenden Kunst entwickelt. Zunächst, im 17. Jahrhundert,
malt
die Musik mit den charakteristischen Klangfarben der Instrumente, mit dem Gegensatz von Streichern und Bläsern, von Sing- und Instrumentalstimmen. Sie hat den Ehrgeiz – ganz unbewußt – es den großen Meistern von Tizian bis Velasquez und Rembrandt gleichzutun. Sie stellt Bilder hin: in jedem Satz ein Thema mit Umschreibungen auf dem Hintergrund des basso continuo: es ist der Sonatenstil von Gabrieli († 1612) bis Corelli († 1713). Sie malt heroische Landschaften in der pastoralen Kantate; sie zeichnet ein Porträt mit Linie der Melodik in Monteverdis Klagegesang der Ariadne (1608). Alles das tritt mit den deutschen Meistern zurück. Die Malerei führt nicht mehr. Die Musik wird
absolut
und sie ist es, die – wiederum unbewußt – im 18. Jahrhundert Malerei und Baukunst beherrscht. Die Plastik wird mit steigender Entschiedenheit aus den tieferen Möglichkeiten dieser Formenwelt ausgeschieden.
    Was die Malerei vor und nach ihrer Verlagerung von Florenz nach Venedig, was also die Malerei Raffaels und Tizians als zwei ganz verschiedene Künste kennzeichnet, ist der plastische Geist in der einen, der ihre Gemälde neben das Relief, der musikalische Geist in der anderen, der ihre mit sichtbaren Pinselstrichen und atmosphärischen Tiefenwirkungen arbeitende Technik neben die Chromatik der Streicher- und Bläserchöre stellt. Die Einsicht, daß hier ein Gegensatz, kein Übergang vorliegt, ist für das Verständnis des
Organismus
dieser Künste entscheidend. Hüten wir uns gerade hier vor der abstrakten Annahme »ewiger Kunstgesetze«. Malerei ist nur ein Wort. Die gotische Glasmalerei war ein Bestandteil der gotischen Architektur. Sie diente deren strenger Symbolik wie die frühägyptische, die früharabische, wie jede andre Kunst in diesem Stadium der Sprache des Steines dient. Man baute Gewandfiguren auf wie Dome. Die Falten waren ein
Ornament
von äußerster Reinheit und Strenge des Ausdrucks. Man

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