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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Unterstrom ruhig dem Barock zufließt.
    Der Renaissance als einer antigotischen und dem Geiste der polyphonen Musik feindlichen Bewegung entspricht in der Antike die dionysische als eine antidorische und dem plastisch-apollinischen Weltgefühl entgegengesetzte. Sie ist
nicht
aus dem thrakischen Dionysoskult »hervorgegangen«. Sie hat ihn erst als Waffe und Gegensymbol zur olympischen Religion herangezogen, ganz ebenso wie man in Florenz den Kult der Antike erst zur Rechtfertigung und Stärkung des eigenen Gefühls zu Hilfe rief. Die große Auflehnung erfolgte dort im 7. und
also
hier im 15. Jahrhundert. Es handelt sich in beiden Fällen um einen Zwiespalt im Untergrunde der Kultur, der seinen physiognomischen Ausdruck in einer ganzen Epoche des Geschichtsbildes, vor allem in deren künstlerischer Formenwelt gefunden hat, um einen Widerstand der Seele gegen ihr Schicksal, das sie nunmehr in seinem vollen Umfange begreift. Die innerlich widerstrebenden Mächte,
Fausts zweite Seele, die sich von der andern trennen will
, suchen den Sinn der Kultur umzubiegen; die unausweichliche Notwendigkeit soll verleugnet, aufgehoben, umgangen werden; es ist Angst vor der Vollendung der historischen Geschicke durch Ionik und Barock darin. Dort knüpft sie sich an den Dionysoskult mit seinem
musikalischen, entwirklichenden
, den Körper
vergeudenden
Orgiasmus, hier an die Tradition des »Altertums« und an dessen Kultus des Körperhaft-Plastischen, die beide als fremde Ausdrucksmittel bewußt herangezogen werden, um durch die Kraft ihrer gegensätzlichen Formensprache dem unterdrückten Gefühl einen Schwerpunkt, ein eigenes Pathos zu verleihen und damit der Strömung in den Weg zu treten, welche dort von Homer und dem geometrischen Stil zu Phidias, hier von den gotischen Domen über Rembrandt zu Beethoven geht.
    Aus dem Charakter einer Gegenbewegung folgt, daß es ebenso leicht ist zu definieren, was sie bekämpft, als schwer, was sie erreichen will. Das ist die Schwierigkeit aller Renaissanceforschung. Im Gotischen (und Dorischen) ist es gerade umgekehrt. Es kämpft
für,
nicht
gegen
etwas. Aber Renaissancekunst – das ist ganz eigentlich antigotische Kunst. Renaissancemusik ist ein Widerspruch in sich selbst. Die Musik am Hofe der Medici war die südfranzösische ars nova; die im Dome von Florenz gehorchte dem niederländischen Kontrapunkt: aber beides ist gleichmäßig
gotisch
und gehört dem
gesamten
Abendland.
    Die übliche Auffassung der Renaissance ist bezeichnend dafür, wie sehr man die laut ausgesprochene Absicht mit dem tieferen Sinn einer Bewegung verwechseln kann. Die Kritik hat seit Burckhardt jede
einzelne
Behauptung der führenden Geister über ihre Tendenzen widerlegt, aber nachdem dies geschehen war, das Wort Renaissance wesentlich im alten Sinne weiter gebraucht. Gewiß, der Unterschied im Architektonischen, überhaupt im künstlerischen Gesamtbilde ist auffallend, sobald man über die Alpen kommt. Aber eben deshalb, weil diese Empfindung allzu populär ist, hätte man ihr mißtrauen und sich fragen sollen, ob hier nicht oft der Unterschied von
Nord und Süd
innerhalb ein und derselben Formenwelt einen Unterschied von gotisch und »antik« vortäuscht. Vieles wirkt auch in Spanien antik, nur weil es südlich ist. Der Laie wird, wenn man ihn vor die Frage stellt, ob der große Klosterhof von S. Maria Novella oder die Fassade des Palazzo Strozzi zur Gotik gehören, sicherlich falsch raten. Andernfalls hätte der plötzliche Wandel des Eindrucks nicht jenseits der Alpen, sondern erst jenseits des Apennin beginnen müssen, denn Toskana ist eine künstlerische Insel in Italien selbst. Oberitalien gehört durchaus einer byzantinisch gefärbten Gotik; Siena insbesondere ist eine echte Stadt der
Gegenrenaissance
. Rom ist bereits die Heimat des Barock. Die Änderung des Empfindens erfolgt aber gleichzeitig
mit der des Landschaftsbildes
.
    Tatsächlich hat Italien die Geburt des gotischen Stils innerlich nicht miterlebt. Es stand um 1000 unter der unbedingten Herrschaft des byzantinischen Geschmacks im Osten, des maurischen im Süden. Erst die reife Gotik hat hier Wurzel gefaßt, und zwar mit einer Innigkeit und Gewalt, die keiner einzigen der großen Renaissanceschöpfungen innewohnt – man denke an das hier entstandene »Stabat mater«, das »Dies irae«, an Katharina von Siena, an Giotto und Simone Martini –, aber südlich aufgehellt und gleichsam als klimatisch gemilderte Fremdheit. Sie übernahm oder verdrängte

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