Der Untergang des Abendlandes
nicht etwa einen angeblichen Nachklang der Antike, sondern ausschließlich eine byzantinisch-sarazenische Formensprache, die in den Bauten Venedigs und Ravennas und noch viel mehr in der Ornamentik der Gewebe, Geräte, Gefäße, Waffen aus dem Orient täglich und überall zu den Sinnen redete.
Wäre die Renaissance eine Erneuerung des antiken
Weltgefühls
gewesen – aber was heißt das? –, so hätte sie das Symbol des umschlossenen und rhythmisch gegliederten
Raumes
durch das des
geschlossenen Baukörpers
ersetzen müssen. Aber davon ist nie die Rede gewesen. Im Gegenteil. Die Renaissance pflegt ganz ausschließlich eine Architektur des Raumes, den ihr die Gotik vorschrieb, nur daß sein Atem, seine klare, ausgeglichene Ruhe im Gegensatz zum Sturm und Drang des Nordens anders ist, nämlich
südlich
, sonnig, sorglos, hingegeben. Nur darin liegt der Unterschied. Ein neuer
Baugedanke
ist nicht hervorgetreten. Man kann diese Architektur beinahe auf
Fassaden und Höfe
reduzieren.
Aber die Richtung des Ausdrucks auf das »Gesicht« der fensterreichen Straßen- oder Hofseite, das immer den Geist der inneren Struktur spiegelt, ist echt gotisch und in einer sehr tiefen Weise mit der Porträtkunst verwandt; und der Hallenhof ist vom Sonnentempel zu Baalbek bis zum Löwenhof der Alhambra
echt arabisch
. Der Tempel von Pästum, ganz Körper, steht inmitten dieser Kunst vollkommen vereinsamt da. Niemand hat ihn gesehen, niemand ihn nachzuahmen versucht. Ebensowenig ist die florentinische Plastik
freie
Rundplastik attischer Art. Jede ihrer Statuen fühlt noch eine unsichtbare Nische hinter sich, in welche die gotische Plastik deren
wirkliche
Urbilder hineinkomponiert hatte. Im Verhältnis zum Hintergrund und im Aufbau des Körpers zeigen der »Meister der Königsköpfe« von der Kathedrale zu Chartres und der Meister des Bamberger Georgenchors dieselbe Durchdringung von »antiken« und gotischen Ausdrucksmitteln, die Giovanni Pisano, Ghiberti und selbst Verrocchio in ihrer Ausdrucksweise nicht weiter gesteigert, und der sie niemals widersprochen haben.
Zieht man von den Vorbildern der Renaissance alles ab, was seit der römischen Kaiserzeit entstanden ist, also der magischen Formenwelt zugehört, so bleibt nichts übrig. Von den spätrömischen Bauten selbst aber ist Zug um Zug alles ausgeschieden, was aus der großen Zeit vor Anbruch des Hellenismus stammt. Entscheidend ist die Tatsache, daß jenes Motiv, welches die Renaissance geradezu
beherrscht
und seiner Südlichkeit wegen uns als ihr edelstes Kennzeichen gilt,
die Verbindung von Rundbogen und Säule,
zwar sehr ungotisch, im antiken Stil aber gar nicht vorhanden ist, vielmehr das in Syrien entstandene
Leitmotiv der magischen Architektur
darstellt.
Und gerade jetzt empfängt man vom Norden die entscheidenden Einwirkungen, welche im Süden erst die volle Befreiung von Byzanz und dann den Schritt von der Gotik zum Barock vollziehen halfen. In der Landschaft zwischen Amsterdam, Köln und Paris [Paris gehört zu ihr. Man sprach dort noch im 15. Jahrhundert ebensoviel flämisch als französisch, und mit den alten Teilen seines architektonischen Bildes zählt Paris zu Brügge und Gent, nicht zu Troyes und Poitiers.] – dem Gegenpol von Toskana in der Stilgeschichte unsrer Kultur – sind neben der gotischen Architektur der Kontrapunkt und die Ölmalerei geschaffen worden. Von dort kamen 1428 Dufay und 1516 Willaert in die päpstliche Kapelle, und dieser begründete 1527 die für den Barockstil der Musik entscheidende Schule von Venedig, wo de Rore aus Antwerpen sein Nachfolger wurde. Von einem Florentiner erhielten Hugo van der Goes den Auftrag des Portinari-Altars für S. Maria Nuova und Memling den für ein Jüngstes Gericht. Aber daneben wurden zahlreiche andre Bilder erworben, vor allem auch niederländische Porträts, die einen außerordentlichen Einfluß übten, und um 1450 kam Rogier van der Weyden selbst nach Florenz, wo seine Kunst bewundert und nachgeahmt wurde. Um 1470 brachten Justus van Gent die Ölmalerei nach Umbrien und der niederländisch ausgebildete Antonello da Messina nach Venedig. Wie viel Niederländisches und wie wenig »Antike« ist in den Bildern von Filippino Lippi, Ghirlandajo und Botticelli, vor allem in den Kupferstichen von Pollaiuolo und sogar bei Lionardo! Den vollen Einfluß des gotischen Nordens auf die Architektur, Musik, Malerei, Plastik der Renaissance hat man heute noch kaum zuzugestehen gewagt. [A. Schmarsow, Gotik in der Renaissance
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