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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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(1921). B. Haendke, Der niederl. Einfluß auf die Malerei Toskana-Umbriens (Monatsh. f. Kunstwiss. 1912).]
    Gerade damals führte auch Nikolaus Cusanus, Kardinal und Bischof von Brixen (1401-1464), das Infinitesimalprinzip, diese
kontrapunktische Methode
der Zahlen, in die Mathematik ein, die er aus der Idee Gottes als des unendlichen Wesens ableitete. Leibniz verdankt ihm die entscheidende Anregung zur Durchführung seiner Differentialrechnung. Aber damit hatte er bereits der dynamischen, der Barockphysik Newtons die Waffe geschmiedet, mit der sie die statische Idee einer südlichen Physik, die an Archimedes anknüpfte und noch in Galilei wirksam war, endgültig überwand.
    Die Hochrenaissance ist der Augenblick einer
scheinbaren
Verdrängung des Musikalischen aus der faustischen Kunst. In Florenz, an dem einzigen Punkt, wo die antike und die abendländische Kulturlandschaft aneinandergrenzen, ist während einiger Jahrzehnte durch einen großartigen Akt ganz eigentlich metaphysischer Auflehnung ein Bild der Antike aufrechterhalten worden, das seine tieferen Züge ohne Ausnahme der Verneinung gotischer verdankt und das dennoch seine Gültigkeit vor unserem Gefühl, wenn auch nicht vor unserer Kritik, über Goethe hinaus noch heute behauptet. Das Florenz des Lorenzo de' Medici und das Rom Leos X. – das
ist
für uns antik; das ist das ewige Ziel unsrer geheimsten Sehnsucht;
das
allein erlöst von aller Schwere, aller Ferne, nur weil es antigotisch ist. So streng ist der Gegensatz apollinischen und faustischen Seelentums ausgeprägt.
    Aber man täusche sich nicht über den Umfang dieser Illusion. Man pflegte in Florenz Fresko und Relief, im Widerspruch zum gotischen Glasgemälde und zum byzantinischen Goldgrundmosaik. Es war die einzige Zeit des Abendlandes, wo die Skulptur den Rang einer herrschenden Kunst einnahm. Im Bilde dominieren die abgewogenen Körper, die geordneten Gruppen, die tektonischen Elemente der Architektur. Die Hintergründe haben keinen eignen Wert und dienen nur als Füllung zwischen und hinter der satten Gegenwart der Vordergrundsgestalten. Hier stand die Malerei eine Zeitlang wirklich unter der Herrschaft der Plastik. Verrocchio, Pollaiuolo und Botticelli waren Goldschmiede. Aber diese Fresken haben trotzdem nichts vom Geiste Polygnots. Man braucht nur durch eine große Sammlung antiker Vasen zu gehen – das einzelne Stück oder die Abbildung fälschen den Eindruck; Vasengemälde sind die einzige Art antiker Kunstwerke, die wir im Original in solcher Menge nebeneinander sehen können, daß wir ein eindringliches Bild des Kunst
wollens
empfangen –, um den vollkommen unantiken Geist der Renaissancemalerei mit Händen zu greifen. Die große Tat Giottos und Masaccios, die Schöpfung einer Freskomalerei,
scheint
nur eine Erneuerung der apollinischen Fühlweise zu sein. Das Tiefenerlebnis, das Ideal der Ausdehnung, welches ihr zugrunde liegt, ist nicht der apollinische raumlose, in sich beschlossene Körper, sondern der
gotische Bildraum.
So sehr die Hintergründe zurücktreten, sie sind da. Aber wieder ist es die Lichtfülle, die Durchsichtigkeit, die mittägige große Ruhe des Südens, die in Toskana und nur hier den dynamischen Raum zum statischen macht, dessen Meister Piero della Francesca wurde. Waren es auch
Bildräume,
die man malte, so erlebte man sie doch nicht als ein unbegrenztes, musikhaft in die Tiefe strebendes und webendes Sein, sondern hinsichtlich ihrer sinnlichen
Begrenztheit.
Man gab ihnen gewissermaßen Körper. Man ordnete sie in Flächenschichten. Man pflegte, mit einer scheinbaren Nähe zum hellenischen Ideal, die Zeichnung, die scharfen Konturen, die körperlichen Grenzflächen – nur daß sie hier den
einen
perspektivischen Raum gegen die Dinge, in Athen die einzelnen Dinge gegen das Nichts abgrenzten; und in demselben Grade, wie die Woge der Renaissance sich wieder glättete, läßt die
Härte
dieser Tendenz nach, von Masaccios Fresken in der Brancaccikapelle bis zu Raffaels Stanzen; und das
sfumato
Lionardos, das Verschwimmen der Ränder mit dem Hintergrund, führt das Ideal einer musikalischen an Stelle einer reliefmäßigen Malerei herauf. Ebensowenig ist die geheime Dynamik der toskanischen Skulptur zu verkennen. Zur Reiterstatue des Verrocchio würde man vergebens ein attisches Seitenstück suchen. Diese Kunst war eine
Maske
, der Geschmack einer erlesenen Gesellschaft, zuweilen eine Komödie, aber nie ist eine Komödie besser zu Ende gespielt worden. Der unsagbar

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