Der Untergang des Abendlandes
Weltgefühls war; der syrischen Herkunft des florentinischen Lieblingsmotivs, der Verbindung von Rundbogen und Säule, war schon gedacht. Aber man vergleiche auch die pseudokorinthischen Kapitäle des 15. Jahrhunderts mit denen römischer Ruinen, die man kannte. Michelangelo war der einzige, der hier keine Halbheit ertrug. Er wollte Klarheit. Für ihn war die Frage der Form eine religiöse Frage. Es handelt sich bei ihm und ihm allein um alles oder nichts. So erklärt sich das einsame, furchtbare Ringen dieses wohl unglücklichsten Menschen innerhalb unsrer Kunst, das Fragmentarische, Gequälte, Unersättliche, das
terribile
seiner Formen, das die Zeitgenossen ängstigte. Der eine Teil seines Wesens zog ihn zum Altertum und also zur Plastik. Man weiß, wie die eben gefundene Laokoongruppe auf ihn wirkte. Ehrlicher als er hat niemand versucht, durch die Kunst des Meißels den Weg zu einer verschütteten Welt zu finden. Alles was er geschaffen hat, war plastisch in diesem,
von ihm allein
vertretenen Sinne gemeint. »Die Welt, vorgestellt im großen Pan«, das, was Goethe im zweiten Teil des Faust hatte geben wollen, als er die Helena einführte, die apollinische Welt in ihrer mächtigen, sinnlichen und körperlichen Gegenwart – das hat kein andrer so mit allen Kräften in ein künstlerisches Dasein bannen wollen als er, damals als er die Decke der Sixtinischen Kapelle malte. Alle Mittel des Fresko, die großen Konturen, die mächtigen Flächen, die drängende Nähe nackter Gestalten, das Stoffliche der Farbe sind hier zum letzten Male bis zum Äußersten angespannt, um das Heidentum – im höchsten Renaissancesinne – in ihm zu befreien. Aber seine zweite Seele, die gotisch-christliche Dantes und der Musik weiter Räume, die deutlich genug aus der metaphysischen Anordnung des Entwurfs redet, leistete Widerstand.
Er hat zum letzten Male versucht, immer und immer wieder, die ganze Fülle seiner Persönlichkeit in die Sprache des Marmors, des euklidischen Materials zu legen, das ihm den Dienst versagte. Denn er stand dem Stein anders gegenüber als ein Grieche. Die gemeißelte Statue widerspricht schon durch die Art ihres Daseins einem Weltgefühl, das in Kunstwerken etwas
sucht
, nicht in ihnen etwas
besitzen
will. Für Phidias ist der Marmor der kosmische Stoff, der sich nach Form sehnt. Die Pygmalionsage erschließt das ganze Wesen dieser apollinischen Kunst. Für Michelangelo war er der Feind, den er unterwarf, der Kerker, aus dem er seine Idee erlösen mußte, wie Siegfried Brunhilde befreit. Man kennt seine leidenschaftliche Art, den rohen Block anzugreifen. Er näherte ihn nicht von allen Seiten der gewollten Gestalt an. Er meißelte in den Stein wie in einen Raum hinein und brachte eine Figur zustande, indem er von dem Block, an der Stirnseite beginnend, schichtweise das Material fortnahm und in die Tiefe drang, während die Gliedmaßen sich langsam aus der Masse entwickelten. Die Weltangst vor dem Gewordnen, dem Tode, den man durch eine bewegte Form zu bannen sucht, kann nicht deutlicher ausgedrückt werden. Kein zweiter Künstler des Abendlandes besitzt ein so innerliches und zugleich so gewaltsames Verhältnis zum Stein als dem Symbol des Todes, zu dem feindlichen Prinzip darin, das seine dämonische Natur immer wieder bezwingen wollte, ob er nun seine Statuen heraushieb oder seine mächtigen Bauten aus ihm auftürmte. [Man hat nie darauf geachtet, wie trivial das Verhältnis der wenigen Bildhauer nach ihm zum Marmor blieb. Man fühlt es erst, wenn man das tiefinnerliche Verhältnis großer Musiker zu ihren Lieblingsinstrumenten damit vergleicht. Ich erinnere an die Geschichte von Tartinis Geige, die beim Tode des Meisters zerspringt. Es gibt hundert ähnliche. Sie sind das faustische Gegenstück zur Pygmalionsage. Es sei auch auf E. T. A. Hoffmanns Gestalt des Kapeilmeisters Kreisler aufmerksam gemacht, die ebenbürtig neben dem Faust, Werther und Don Juan steht. Um ihren symbolischen Rang und ihre innere Notwendigkeit zu fühlen, vergleiche man sie mit den theatralischen Malergestalten der gleichzeitigen Romantiker, die zur Idee der Malerei in keinerlei Beziehung stehen. Ein Maler
kann gar nicht
, und das spricht das Urteil über die Künstlerromane des 19. Jahrhunderts, das Schicksal der faustischen Kunst repräsentieren.] Er ist der einzige Bildhauer seiner Zeit, für den
nur
der Marmor in Frage kam. Der Bronzeguß, der einen Ausgleich mit malerischen Tendenzen gestattete und dem er deshalb fern
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