Der Untergang des Abendlandes
werden. Sie konnten nicht in ihr und durch sie, nur gegen sie zur Entfaltung ihrer Kräfte kommen. Wir sind geneigt, das Menschliche der Renaissancemaler zu überschätzen, nur weil wir keine Schwäche in der Form entdecken. Aber im Gotischen und im Barock erfüllt ein ganz großer Künstler seine Mission, indem er ihre Sprache vertieft und vollendet; in der Renaissance mußte er sie zerstören.
Dies ist der Fall Lionardos, Raffaels und Michelangelos, der einzigen ganz großen Menschen Italiens seit den Tagen Dantes. Ist es nicht seltsam, daß zwischen den Meistern der Gotik, die nichts als schweigsame Arbeiter in ihrer Kunst waren und doch das Größte im Dienste dieser Konvention und innerhalb ihrer Schranken leisteten, und den Venezianern und Holländern von 1600, die wieder nichts als Arbeiter waren, diese drei stehen, nicht nur Maler, nicht Bildhauer, sondern Denker, und zwar Denker aus Not, die sich außer mit allen möglichen Arten künstlerischen Ausdrucks auch noch mit tausend andern Dingen beschäftigten, ewig unruhig und unbefriedigt, um dem Wesen und dem Ziel ihrer Existenz auf den Grund zu kommen – die sie in den seelischen Bedingungen der Renaissance also nicht fanden? Diese drei Großen haben, jeder in seiner Weise, jeder in seinem eignen tragischen Irrgang versucht, antik im Sinne der mediccischen Theorie zu sein, und jeder hat nach einer andern Seite hin den Traum zerstört, Raffael die große Linie, Lionardo die Fläche, Michelangelo den Körper. In ihnen kehrt die verirrte Seele zu ihrem faustischen Ausgang zurück. Sie
wollten
das Maß statt der Beziehung, die Zeichnung statt der Wirkung von Luft und Licht, den euklidischen Leib statt des reinen Raumes. Aber eine euklidisch-statische Plastik hat es damals nicht gegeben. Sie war nur einmal möglich: in Athen. Eine heimliche Musik ist immer und überall fühlbar. All ihre Gestalten haben Bewegtheit und eine Tendenz in die Ferne und Tiefe. Sie sind alle auf dem Wege zu Palestrina statt zu Phidias, wie sie alle von der schweigenden Musik der Kathedralen statt von den römischen Ruinen kommen. Raffael löste das florentinische Fresko auf, Michelangelo die Statue, Lionardo träumte schon von der Kunst Rembrandts und Bachs. Je ernster man die Aufgabe nimmt, das Ideal dieser Zeit zu verwirklichen, desto ungreifbarer wird es.
Mithin sind Gotik und Barock etwas, das
ist
. Renaissance bleibt ein Ideal, das über dem Wollen einer Zeit schwebt, unerfüllbar wie alle Ideale. Giotto
ist
ein gotischer und Tizian
ist
ein Barockkünstler. Michelangelo
wollte
ein Renaissancekünstler sein, aber es gelang ihm nicht. Schon daß, trotz allen Ehrgeizes seiner Plastik, die Malerei unbestritten überwog, und zwar mit den räumlich-perspektivischen Voraussetzungen des Nordens, beweist den Widerspruch zwischen Sehnsucht und Erfüllung. Das schöne Maß, die abgeklärte Regel, das gewollt Antike also, wurden schon um 1520 als trocken und formelhaft empfunden. Michelangelo und andre mit ihm waren der Meinung, daß sein Kranzgesims am Palazzo Farnese, durch das er die Fassade Sangallos vom Renaissancestandpunkt aus verdarb, die Leistungen der Griechen und Römer weit übertreffe.
Wie Petrarca der erste, so war Michelangelo der letzte leidenschaftlich für die Antike empfindende Mensch von Florenz, aber er war es nicht mehr ganz. Das franziskanische Christentum Fra Angelicos, von feiner Milde, versonnen, still ergeben, dem die südliche Abgeklärtheit reifer Renaissancewerke weit mehr zu verdanken hat, als man glaubt, [Es ist dieselbe »edle Einfalt und stille Größe«, um mit deutschen Klassizisten zu reden, welche auch die romanischen Bauten von Hildesheim, Gernrode, Paulinzella, Hersfeld so antikisch wirken läßt. Gerade die Klosterruine von Paulinzella besitzt viel von dem, was Brunellesco in seinen Palasthöfen erst erreichen wollte. Aber das schöpferische Grundgefühl, das diese Bauten herausbildete, haben wir erst auf unsre Vorstellung von antikem Sein übertragen und nicht etwa von dort erhalten. Ein unendlicher Friede, eine Weite des Gefühls der Ruhe in Gott, wie sie alles Florentinische auszeichnet, soweit es nicht den gotischen Trotz Verrocchios hervorkehrt, ist in keiner Weise mit der σωφροσυνη Athens verwandt.] ging nun zu Ende. Der majestätische Geist der Gegenreformation, schwer, bewegt und prächtig, lebt schon in Michelangelos Werken auf. Es gibt etwas, das man damals antik nannte und das nur eine edle Form des christlich-germanischen
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