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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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zum Verwechseln nahe. Ich behaupte, daß es überhaupt kein eigentliches Renaissanceporträt gibt und geben kann, wenn man darunter die gleiche in einem Antlitz gesammelte künstlerische Gesinnung versteht, welche den Hof des Palazzo Strozzi von der Loggia dei Lanzi und Perugino von Cimabue trennt. Im Architektonischen war eine antigotische Schöpfung möglich, so wenig von apollinischem Geiste sie auch besaß; im Bildnis, das schon als Gattung ein faustisches Sinnbild war, ist sie es nicht. Michelangelo ging der Aufgabe aus dem Weg. In seiner leidenschaftlichen Verfolgung eines plastischen Ideals hätte er die Beschäftigung mit ihr als ein Herabsteigen empfunden. Seine Brutusbüste ist so wenig ein Bildnis wie sein Giuliano de' Medici, dessen Porträt von Botticelli ein wirkliches, mithin eine ausgesprochen gotische Schöpfung ist. Michelangelos Köpfe sind Allegorien im Stil des anbrechenden Barock und selbst mit gewissen hellenistischen Arbeiten nur oberflächlich vergleichbar. Man mag den Wert der Uzzanobüste des Donatello, vielleicht der bedeutendsten Leistung dieser Epoche und dieses Kreises, noch so hoch bemessen; man wird zugeben, daß sie neben den Bildnissen der Venezianer kaum in Betracht kommt.
    Es verdient bemerkt zu werden, daß diese wenigstens ersehnte Überwindung des gotischen Porträts durch den vermeintlich antiken Akt – einer tief historischen und biographischen Form durch eine vollkommen ahistorische – mit einem gleichzeitigen Niedergang der Fähigkeit zur innern Selbstprüfung und zur künstlerischen Konfession im Goetheschen Sinne verschwistert erscheint. Kein echter Renaissancemensch kennt eine seelische Entwicklung. Er vermochte ganz nach außen zu leben. Darin lag das hohe Glück des Quattrocento. Zwischen Dantes »Vita nuova« und Michelangelos Sonetten ist keine poetische Beichte, kein Selbstporträt von hohem Rang entstanden. Der Renaissancekünstler und Humanist ist im Abendland der einzige, für den Einsamkeit ein leeres Wort bleibt. Sein Leben vollzieht sich im Lichte
höfischen
Daseins. Er fühlt und empfindet öffentlich, ohne heimliches Ungenügen, ohne Scham. Das Leben der großen gleichzeitigen Niederländer dagegen vollzog sich im Schatten ihrer Werke. Darf man hinzufügen, daß
also auch
jenes andre Symbol der historischen Ferne, der Sorge, Dauer und Nachdenklichkeit, der
Staat,
von Dante bis auf Michelangelo aus der Sphäre der Renaissance verschwindet? Im »wankelmütigen Florenz«, das all seine großen Bürger bitter gescholten haben und dessen Unfähigkeit zu politischen Bildungen an andern abendländischen Staatsformen gemessen ans Bizarre streift, und überall dort, wo der antigotische – nach dieser Seite hin betrachtet also
antidynastische
– Geist eine lebendige Wirksamkeit in Kunst und Öffentlichkeit entfaltet, machte der Staat einer wahrhaft hellenischen Jämmerlichkeit in Gestalt der Medici, Sforza, Borgia, Malatesta und wüster Republiken Platz. Nur dort, wo die Plastik
keine
Stätte fand, wo die südliche Musik zu Hause war, wo Gotik und Barock in der Ölmalerei des Giovanni Bellini sich berührten und die Renaissance ein Gegenstand gelegentlicher Liebhaberei blieb, gab es neben dem Porträt eine feine Diplomatie und den Willen zur politischen Dauer: in Venedig.
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    Die Renaissance war aus dem Trotz geboren. Es fehlt ihr darum an Tiefe, Umfang und Sicherheit der formbildenden Instinkte. Sie ist die einzige Epoche, die in der Theorie folgerichtiger war als in den Leistungen. Sie war auch, sehr im Gegensatz zu Gotik und Barock, die einzige, in welcher das theoretisch formulierte Wollen dem Können voranging und es oft genug überragte. Aber die erzwungene Gruppierung der einzelnen Künste um eine antikisierende Plastik konnte die Künste in den letzten Wurzeln ihres Wesens nicht verwandeln. Sie bewirkte nur eine Verarmung der inneren Möglichkeiten. Für Naturen von mittlerem Umfang war das Thema der Renaissance zureichend. Es kommt ihnen infolge der Klarheit seiner Fassung sogar entgegen und man vermißt deshalb das gotische Ringen mit übermächtigen und gestaltlosen Problemen, das die rheinischen und niederländischen Schulen kennzeichnet. Die verführerische Leichtigkeit und Klarheit beruht nicht zum wenigsten auf dem Umgehen des tieferen Widerstandes durch eine allzu schlichte Regel. Für Menschen von der Innerlichkeit Memlings und der Gewalt Grünewalds, wenn sie im Bereich dieser toskanischen Formenwelt geboren wurden, mußte das zum Verhängnis

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