Der Untergang des Abendlandes
mit der Bewegtheit des Weltraumes verbindet, eine gänzlich unantike Synthese, die auch den Nymphenbildern Corots nicht fremd ist, deren Gestalten im Begriffe sind, sich in Farbenflecke, Reflexe des unendlichen Raumes aufzulösen. So war der antike Akt
nicht gemeint.
Man verwechsle das griechische Formideal – das eines in sich abgeschlossenen plastischen Daseins – auch nicht mit der bloßen virtuosen Darstellung schöner Leiber, wie sie sich von Giorgione bis auf Boucher immer wieder finden, fleischliche Stilleben, Genrearbeiten, die lediglich, wie Rubens' Frau mit dem Pelz, eine heitre Sinnlichkeit zum Ausdruck bringen und in Hinsicht auf das symbolische Gewicht der Leistung – sehr im Gegensatz zu dem hohen Ethos antiker Akte – weit zurücktreten. [Nichts kann das Absterben der abendländischen Kunst seit Mitte des 19. Jahrhunderts deutlicher kennzeichnen als die alberne, massenhafte Aktmalerei; der tiefere Sinn des Aktstudiums und der Bedeutung des Motivs ist vollkommen verloren gegangen.]
Diese – ausgezeichneten – Maler haben dementsprechend weder im Porträt noch in der Darstellung tiefer Welträume vermittelst der Landschaft das Höchste erreicht. Ihrem Braun und Grün, ihrer Perspektive fehlt die »Religion«, die Zukunft, das Schicksal. Sie sind Meister allein im Bereich der
elementaren
Form, in deren Verwirklichung ihre Kunst sich erschöpft. Sie sind es, deren Schar die eigentliche Substanz der Entwicklungsgeschichte einer großen
Kunst
bildet. Wenn aber ein großer
Künstler
darüber hinaus zu jener andern, die ganze Seele und den ganzen Sinn der Welt umfassenden Form vordringt, so
mußte
er innerhalb der antiken Kunst zur Durchbildung eines nackten Körpers schreiten, in der nordischen
durfte
er es nicht. Rembrandt hat in jenem Vordergrundsinne nie einen Akt gemalt; Lionardo, Tizian, Velasquez und unter den letzten Menzel, Leibl, Marées, Manet jedenfalls selten (und dann immer, ich möchte sagen Leiber
als Landschaften
). Das Porträt bleibt der untrügliche Prüfstein. [Rubens und unter den Neueren vor allem Böcklin und Feuerbach verlieren, Goya, Daumier, in Deutschland vor allem Oldach, Wasmann, Rayski und viele andre fast vergessene Künstler aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts gewinnen dabei. Marées tritt in die Reihe der allergrößten.] Aber man würde Meister wie Signorelli, Mantegna, Botticelli und selbst Verrocchio niemals an dem Range ihrer Porträts messen. Das Reiterdenkmal des Cangrande von 1330 ist in einem viel höheren Sinne Porträt als der Bartolommeo Colleoni. Raffaels Bildnisse, deren beste wie das des Papstes Julius II. unter dem Einfluß des Venezianers Sebastian del Piombo entstanden, könnte man bei der Würdigung seines Schaffens gänzlich außer acht lassen. Erst bei Lionardo sind sie von Gewicht. Es besteht ein feiner Widerspruch zwischen Freskotechnik und Bildnismalerei. In der Tat ist Giovanni Bellinis Doge Loredan das erste große Ölporträt. Auch hier offenbart sich der Charakter der Renaissance als einer Auflehnung gegen den faustischen Geist des Abendlandes. Die Episode von Florenz bedeutet den Versuch, das Porträt gotischen Stils – also nicht das spätantike Idealbildnis, das man vornehmlich durch die Cäsarenbüsten kannte – als Symbol des Menschlichen durch den Akt zu ersetzen. Folgerichtig hätten der gesamten Renaissancekunst die physiognomischen Züge fehlen müssen. Allein der starke Tiefenstrom faustischen Kunstwollens, nicht nur in kleineren Städten und Schulen Mittelitaliens, sondern selbst im Unbewußten der großen Maler, bewahrte eine nie unterbrochene gotische Tradition. Die Physiognomik gotischer Art unterwarf sich sogar das ihr so fremde Element des südlich-nackten Körpers. Was man entstehen sieht, sind nicht Körper, die durch die Statik ihrer Grenzflächen zu uns reden; wir bemerken ein
Mienenspiel,
das sich vom Antlitz über alle Teile des Körpers verbreitet und für das feinere Auge gerade in die toskanische
Nacktheit
eine tiefe Identität mit dem
gotischen Gewande
legt. Sie ist eine Hülle, keine Grenze. Die ruhenden nackten Gestalten Michelangelos in der Mediceerkapelle vollends sind ganz und gar Antlitz und Sprache einer
Seele.
Vor allem aber wurde jeder gemalte oder modellierte Kopf von selbst zum Porträt, auch der von Göttern und Heiligen. Alles was A. Rossellino, Donatello, Benedetto da Maiano, Mino da Fiesole im Porträt geleistet haben, steht dem Geiste der Van Eyck, Memlings und der frührheinischen Meister oft bis
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