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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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die größtenteils erhalten blieb, hat dann das imaginäre Bild des »klassischen Altertums« in Florenz sowohl wie für Winckelmann, Hölderlin, Goethe und sogar Nietzsche bestimmt.] Die andern stützen sich vorwiegend auf das nüchterne Quellenmaterial der Rechtsurkunden, Inschriften und Münzen, das insbesondere Burckhardt und Nietzsche sehr zu ihrem Schaden verachtet hatten, und ordnen ihm die erhaltene Literatur mit ihrem oft minimalen Wahrheits- und Tatsachensinn unter. So nahm man sich gegenseitig schon der kritischen Grundlagen wegen nicht ernst. Ich wüßte nicht, daß Nietzsche und Mommsen einander die geringste Beachtung geschenkt hätten.
    Aber keiner von beiden hat die Höhe der Betrachtung erreicht, aus welcher dieser Gegensatz in nichts zerfällt und die trotzdem möglich gewesen wäre. Hier rächte sich die Herübernahme des Kausalprinzips aus der Naturwissenschaft in die Geschichtsforschung. Man kam unbewußt zu einem das Weltbild der Physik oberflächlich nachmalenden Pragmatismus, der die ganz andersartige Formensprache der Historie verdeckt und verwirrt, nicht erschließt. Man wußte, um die Masse des historischen Materials einer vertieften und ordnenden Auffassung zu unterwerfen, nichts Besseres, als einen Komplex von Erscheinungen als primär, als Ursache anzusetzen und die übrigen demgemäß als sekundär, als Folgen oder Wirkungen zu behandeln. Nicht nur die Praktiker, auch die Romantiker haben dazu gegriffen, weil die Historie ihre eigene Logik auch ihrem träumerischen Blick nicht offenbart hat und das Bedürfnis nach Feststellung einer immanenten Notwendigkeit, deren Vorhandensein man
fühlte
, viel zu stark war, wenn man nicht wie Schopenhauer der Geschichte überhaupt mißmutig den Rücken kehren wollte.
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    Reden wir ohne weiteres von einer materialistischen und einer ideologischen Art, die Antike zu sehen. Dort erklärt man, daß das Sinken der einen Waagschale seine Ursache im Steigen der andern hat. Man beweist, daß dies ohne Ausnahme der Fall ist – zweifellos ein schlagender Beweis. Hier haben wir also Ursache und Wirkung, und zwar stellen – selbstverständlich – die sozialen und sexuellen, allenfalls die rein politischen Tatsachen die Ursachen, die religiösen, geistigen, künstlerischen die Wirkungen dar (soweit der Materialist für die letzteren die Bezeichnung Tatsachen duldet). Die Ideologen beweisen umgekehrt, daß das Steigen der einen Schale aus dem Sinken der anderen folgt, und sie beweisen es mit derselben Exaktheit. Sie versenken sich in Kulte, Mysterien, Bräuche, in die Geheimnisse des Verses und der Linie und würdigen das banausische Alltagsleben, eine peinliche Folge irdischer Unvollkommenheit, kaum eines Seitenblicks. Beide beweisen, die Kausalreihe deutlich vor Augen, daß die andern den wahren Zusammenhang der Dinge offenbar nicht sehen oder sehen wollen, und enden damit, daß sie einander blind, flach, dumm, absurd oder frivol, kuriose Käuze oder platte Philister schelten. Der Ideologe ist entsetzt, wenn jemand Finanzprobleme unter Hellenen ernst nimmt und z. B. statt von den tiefsinnigen Sprüchen des delphischen Orakels von den weitreichenden Geldoperationen redet, welche die Orakelpriester mit den dort niedergelegten Schätzen vornahmen. Der Politikus aber lächelt weise über den, der seine Begeisterung an sakrale Formeln und die Tracht attischer Epheben verschwendet, statt über antike Klassenkämpfe ein mit vielen modernen Schlagworten gespicktes Buch zu schreiben.
    Der eine Typus ist schon in Petrarca vorgebildet. Er hat Florenz und Weimar, den Begriff der Renaissance und den abendländischen Klassizismus geschaffen. Den andern findet man seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, mit dem Beginn einer zivilisierten, wirtschaftlich-großstädtischen Politik, also zuerst in England (Grote). Im Grunde stehen sich hier die Auffassungen des kultivierten und des zivilisierten Menschen gegenüber, ein Gegensatz, der zu tief, zu menschlich ist, um die Schwäche
beider
Standpunkte empfinden zu lassen oder gar zu überwinden.
    Auch der Materialismus verfährt in diesem Punkte idealistisch. Auch er hat, ohne es zu wissen und zu wollen, seine Einsichten von seinen Wünschen abhängig gemacht. In der Tat haben sich unsere besten Geister ohne Ausnahme vor dem Bilde der Antike in Ehrfurcht gebeugt und in diesem einzigen Falle der schrankenlosen Kritik entsagt. Die Untersuchung des Altertums ist immer durch eine gewisse, fast religiöse Scheu in ihrer Freiheit und

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