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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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der Oberfläche verschieden, aber völlig gleich in dem inneren Drang, der den großen Organismus seiner Vollendung entgegentreibt. Wir hätten Zug um Zug vom »Trojanischen Krieg« und den Kreuzzügen, Homer und dem Nibelungenlied an über Dorik und Gotik, dionysischer Bewegung und Renaissance, Polyklet und Sebastian Bach, Athen und Paris, Aristoteles und Kant, Alexander und Napoleon bis zum Weltstadtstadium und Imperialismus beider Kulturen hier ein beständiges
alter ego
der eignen Wirklichkeit gefunden.
    Aber die Interpretation des antiken Geschichtsbildes, die hier Vorbedingung war – wie einseitig ist sie immer angegriffen worden! wie äußerlich! wie parteiisch! wie wenig umfassend! Weil wir uns »den Alten« allzu verwandt fühlten, haben wir uns die Aufgabe allzu leicht gemacht. In der
flachen
Ähnlichkeit liegt die Gefahr, der die gesamte Altertumsforschung erlegen ist, sobald sie von dem bis zur Meisterschaft entwickelten Ordnen und Bestimmen der Funde zu seelenhaften Deutungen überging. Es ist ein ehrwürdiges Vorurteil, das wir endlich überwinden sollten, daß die Antike uns innerlich nahesteht, weil wir vermeintlich ihre Schüler und Nachkommen, weil wir tatsächlich ihre Anbeter gewesen sind. Die ganze religionsphilosophische, kunsthistorische, sozialkritische Arbeit des 19. Jahrhunderts war nötig, nicht um uns endlich die Dramen des Aischylos, die Lehre Platos, Apollo und Dionysos, den athenischen Staat, den Cäsarismus verstehen zu lehren – davon sind wir weit entfernt –, sondern um uns endlich fühlen zu lassen, wie unermeßlich fremd und fern uns das alles innerlich ist, fremder vielleicht als die mexikanischen Götter und die indische Architektur.
    Unsere Meinungen von der griechisch-römischen Kultur haben sich immer zwischen zwei Extremen bewegt, wobei ohne Ausnahme das Schema Altertum – Mittelalter – Neuzeit die Perspektive aller »Standpunkte« von vornherein bestimmte. Die einen, Männer des öffentlichen Lebens vor allem, Nationalökonomen, Politiker, Juristen, finden die »heutige Menschheit« im besten Fortschreiten, schätzen sie sehr hoch ein und messen an ihr alles Frühere. Es gibt keine moderne Partei, nach deren Grundsätzen Kleon, Marius, Themistokles, Catilina und die Gracchen nicht schon »gewürdigt« worden sind. Die andern, Künstler, Dichter, Philologen und Philosophen, fühlen sich in besagter Gegenwart nicht zu Hause, nehmen darum in irgend einer Vergangenheit einen ebenso absoluten Standpunkt ein und verurteilen von ihm aus ebenso dogmatisch das Heute. Die einen sehen im Griechentum ein »Noch nicht«, die andern in der Modernität ein »Nicht mehr«, immer unter dem Eindruck eines Geschichtsbildes, das beide Zeitalter linienförmig aneinander knüpft.
    Es sind die zwei Seelen Fausts, die sich in diesem Gegensatz verwirklicht haben. Die Gefahr der einen ist die intelligente Oberflächlichkeit. Es bleibt von allem, was antike Kultur, was Abglanz der antiken Seele gewesen war, zuletzt nichts in ihren Händen als ein Bündel sozialer, wirtschaftlicher, politischer, physiologischer Tatsachen. Der Rest nimmt den Charakter von »sekundären Folgen«, »Reflexen«, »Begleiterscheinungen« an. Von der mythischen Wucht der Chöre des Aischylos, von der ungeheuren Erdkraft der ältesten Plastik, der dorischen Säule, von der Glut der apollinischen Kulte, von der Tiefe selbst noch des römischen Kaiserkultes ist in ihren Büchern nichts zu spüren. Die andern, verspätete Romantiker vor allem, wie noch zuletzt die drei Basler Professoren Bachofen, Burckhardt und Nietzsche, erliegen der Gefahr aller Ideologie. Sie verlieren sich in den Wolkenregionen eines Altertums, das lediglich ein Spiegelbild ihrer philologisch geregelten Empfindsamkeit ist. Sie verlassen sich auf die Reste der alten Literatur, das einzige Zeugnis, das ihnen edel genug ist – aber noch nie ist eine Kultur durch ihre großen Schriftsteller unvollkommener repräsentiert worden. [Entscheidend ist die Auswahl des Übriggebliebenen, die nicht allein vom Zufall, sondern ganz wesentlich von einer Tendenz bestimmt ist. Der Attizismus der Augustuszeit, müde, unfruchtbar, pedantisch, zurückschauend, hat den Begriff des
Klassischen
geprägt und eine ganz kleine Gruppe griechischer Werke bis auf Plato herab als klassisch anerkannt. Das übrige, darunter die gesamte reiche hellenische Literatur, wurde verworfen und ging fast vollständig verloren. Jene von einem schulmeisterlichen Geschmack ausgewählte Gruppe,

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