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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Weltkrieg geführt wird. Der antike Mensch konnte aus einem inneren Grunde kein Eroberer sein, trotz des Alexanderzuges, der als romantische Ausnahme und mehr noch durch den inneren Widerstand der Begleiter lediglich die Regel bestätigt. In den Zwergen, Nixen und Kobolden hat die nordische Seele Wesen geschaffen, die mit einer unstillbaren Sehnsucht aus dem bindenden Element erlöst sein wollen, einer Sehnsucht nach dem Fernen und Freien, die den griechischen Dryaden und Oreaden ganz unbekannt ist. Die Griechen gründeten Hunderte von Pflanzstädten am Küstensaum des Mittelmeeres, aber man findet nicht den geringsten Versuch, erobernd ins Hinterland zu dringen.
    Sich fern der Küste ansiedeln hieße die Heimat aus den Augen verlieren; sich
allein
niederlassen, wie es den Trappern der amerikanischen Prärien als Ideal vorschwebte und lange vorher schon den Helden der isländischen Sagas, liegt völlig außerhalb der Möglichkeiten antiken Menschentums. Ein Schauspiel wie die Auswanderung nach Amerika – jeder einzelne auf eigene Faust und mit einem tiefen Bedürfnis, allein zu bleiben –, die spanischen Konquistadoren, der Strom der kalifornischen Goldsucher, der unbändige Wunsch nach Freiheit, Einsamkeit, ungemessener Selbständigkeit, diese gigantische Verneinung eines noch irgendwie begrenzten Heimatgefühls ist allein faustisch. Das kennt keine andre Kultur, auch die chinesische nicht.
    Der hellenische Auswanderer gleicht dem Kinde, das sich an der Mutter Schürze hält: aus der alten Stadt in eine neue ziehen, die samt Mitbürgern, Göttern und Gebräuchen das genaue Ebenbild der alten ist, das gemeinsam befahrene Meer immer vor Augen; dort auf der Agora die gewohnte Existenz des ξωον πολιτιχον weiterführen – darüber hinaus durfte der Szenenwechsel eines apollinischen Daseins nicht getrieben werden. Uns, die wir Freizügigkeit wenigstens als Menschenrecht und Ideal nicht vermissen können, würde das die ärgste aller Sklavereien bedeutet haben. Unter diesem Gesichtspunkt hat man die leicht mißzuverstehende römische Expansion aufzufassen, die von einer Ausdehnung des
Vaterlandes
weit entfernt ist. Sie hält sich genau innerhalb des Bereiches, das von Kulturmenschen schon in Besitz genommen war und jetzt ihnen als Beute zufiel. Von dynastischen Weltmachtplänen im Hohenstaufen- oder Habsburgerstil, von einem mit der Gegenwart vergleichbaren Imperialismus ist nie die Rede gewesen. Die Römer haben keinen Versuch gemacht, ins innere Afrika zu dringen. Sie haben ihre späteren Kriege nur geführt, um ihren Besitz
sicherzustellen
, ohne Ehrgeiz, ohne einen symbolischen Drang nach Ausbreitung, und sie haben Germanien und Mesopotamien ohne Bedauern wieder aufgegeben.
    Fassen wir all dies zusammen, den Aspekt der Sternenräume, zu dem sich das Weltbild des Kopernikus erweitert hat, die Beherrschung der Erdoberfläche durch den abendländischen Menschen im Gefolge der Entdeckung des Kolumbus, die Perspektive der Ölmalerei und der tragischen Szene und das durchgeistigte Heimatgefühl; fügen wir die zivilisierte Leidenschaft des schnellen Verkehrs, die Beherrschung der Luft, die Nordpolfahrten und die Ersteigung kaum zugänglicher Berggipfel hinzu, so taucht aus allem das Ursymbol der faustischen Seele auf, der grenzenlose Raum, als dessen Ableitungen wir die besonderen, in dieser Form rein westeuropäischen Gebilde des Seelenmythos: den »Willen«, die »Kraft«, die »Tat« aufzufassen haben.
     

II. Buddhismus, Stoizismus, Sozialismus
10
    Damit ist endlich das
Phänomen der Moral
[An dieser Stelle ist ausschließlich von der bewußten, religiös-philosophischen Moral die Rede, die erkannt, gelehrt und befolgt wird, und nicht vom rassehaften
Takt
des Lebens, der »Sitte«, die unbewußt da ist. Jene bewegt sich um die geistigen Begriffe Tugend und Sünde, gut und böse, diese um die Ideale des Blutes: Ehre, Treue, Tapferkeit, und die Entscheidungen des
Taktgefühls
über vornehm und gemein. Vgl. dazu Bd. II, S. 980 ff.] – als geistige Interpretation des Lebens durch sich selbst – verständlich geworden. Hier ist die Höhe erreicht, von der aus ein freier Umblick über dies weiteste und bedenklichste aller Gebiete menschlichen Nachdenkens möglich ist. Aber gerade hier tut eine Objektivität not, zu der sich bisher niemand ernstlich verstanden hat. Mag Moral zunächst sein, was sie will; ihre
Analyse
darf nicht selbst der Teil einer Moral sein. Nicht was wir tun, was wir erstreben, wie wir

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