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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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eine Schicht hakenförmiger Atome gedacht, die wie eine Haut den Kosmos abschließt. Demgegenüber sucht unser nie gestillter Hunger nach immer neuen Weltfernen. Das System des Kopernikus hat, zuerst durch Giordano Bruno, der Tausende solcher Systeme im Grenzenlosen schweben sah, in den Jahrhunderten des Barock eine unermeßliche Erweiterung gefunden.
    [Wir »wissen« heute, daß die Summe aller Sonnensysteme – etwa 35 Millionen – ein geschlossenes Sternensystem bildet, das nachweisbar endlich ist Nach dem Rande zu nimmt bei wachsender Stärke des Fernrohres die Zahl der neuerscheinenden Sterne rasch ab. und die Gestalt eines Rotationsellipsoids besitzt, dessen Äquator mit dem Bande der Milchstraße annähernd zusammenfällt. Schwärme von Sonnensystemen durchziehen wie Züge von wandernden Vögeln mit gleicher Richtung und Geschwindigkeit diesen Raum. Eine solche Schar, deren Apex im Sternbild des Herkules liegt, bildet unsre Sonne mit den hellen Sternen Capeila, Wega, Atair und Beteigeuze. Die Achse des ungeheuren Systems, dessen Mitte unsre Sonne gegenwärtig nicht sehr fern steht, wird 470 Millionen mal so groß als der Abstand von Sonne und Erde angenommen. Der nächtliche Sternenhimmel gibt uns gleichzeitig Eindrücke, deren zeitlicher Ursprung bis zu 3700 Jahren auseinanderliegt; so viel beträgt der Lichtweg von der äußersten Grenze bis zur Erde. Im Bilde der Historie, das sich vor unsren Augen entfaltet, entspricht das einer Dauer über die gesamte antike und arabische Kultur zurück bis zum Höhepunkt der ägyptischen, zur Zeit der 12. Dynastie. Dieser Aspekt – ich wiederhole: ein
Bild
, keine Erfahrung – ist für den faustischen Geist erhaben; Das Berauschende großer Zahlen ist ein bezeichnendes Erlebnis, das nur der Mensch des Abendlandes kennt. In der gegenwärtigen Zivilisation spielt gerade dies Symbol, die Leidenschaft für Riesensummen, für unendlich große und unendlich kleine Messungen, für Rekorde und Statistiken eine ungewöhnliche Rolle. für den apollinischen wäre er grauenvoll gewesen, eine vollkommene Vernichtung der tiefsten Bedingungen seines Daseins. Daß eine endgültige Grenze des für uns Gewordnen und Vorhandnen mit dem Rande des Sternenkörpers statuiert wird, wäre ihm als Erlösung erschienen. Wir aber haben mit innerster Notwendigkeit die unausweichliche neue Frage: Gibt es
außerhalb
dieses Systems etwas? Gibt es
Mengen
solcher Systeme in Entfernungen, denen gegenüber die hier festgestellten Dimensionen außerordentlich klein sind? Für die sinnliche Erfahrung erscheint eine absolute Grenze erreicht; durch diese massenleeren Räume, die eine bloße
Denknotwendigkeit
für uns sind, kann weder das Licht noch die Gravitation ein Existenzzeichen geben. Die seelische Leidenschaft, das Bedürfnis nach restloser Verwirklichung unsrer Daseinsidee in Symbolen aber leidet unter dieser Grenze unsrer Sinnesempfindungen. ]
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    Deshalb haben die altnordischen Stämme, in deren urmenschlicher Seele das Faustische sich bereits zu regen begann, in grauer Vorzeit eine
Segelschiffahrt
erfunden, die sich vom Festland befreite. [Sie reichte im 2. vorchristl. Jahrtausend von Island und der Nordsee über Kap Finisterre nach den Kanarischen Inseln und Westafrika, wovon die Atlantissagen der Griechen eine Erinnerung bewahrten. Das Reich von Tartessos an der Mündung des Guadalquivir scheint ein Mittelpunkt dieses Verkehrs gewesen zu sein. Vgl. L. Frobenius, Das unbekannte Afrika, S. 139. In irgendeinem Zusammenhang damit müssen die »Seevölker« gestanden haben, Wikingerschwärme, die nach langer Länderwanderung von Nord nach Süd im Schwarzen oder Agäischen Meer wieder Schiffe zimmerten und seit Ramses II. (1292-1225) gegen Ägypten vorbrachen. Schon wenige Jahre später änderte Spengler, tiefer in die Materie eingedrungen, seine hier vorgetragenen Ansichten über die Frühgeschichte grundlegend und schied den seefahrenden »Alten Westen« von der jüngeren »nordischen« Frühkultur. Die Aufsätze »Zur Weltgeschichte des 2. vorchristlichen Jahrtausends« und über den Streitwagen (beides wiederabgedruckt in den »Reden und Aufsätzen« 1937, München, C. H. Beck) geben darüber Aufschluß. H. K.] Die Ägypter kannten das Segel, aber sie zogen nur den Vorteil der Arbeitsersparnis daraus. Sie fuhren wie früher mit ihren Ruderschiffen die Küste entlang nach Punt und Syrien, ohne die
Idee
der Hochseefahrt, das Befreiende und Symbolische in ihr zu empfinden. Denn die

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