Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
heiligen Lehre wurde nicht gezweifelt, aber unbewußt wurde ihr bei geistig hochstehenden Katholiken und sehr deutlich bei Luther ein andrer Sinn untergeschoben, den wir heute mit dem Wort Unsterblichkeit, das heißt Fortdauer der Seele als eines reinen Kraftmittelpunktes für alle Unendlichkeit kennzeichnen. Könnten Paulus oder Augustin unsre Vorstellungen vom Christentum einmal kennenlernen, sie würden alle Bücher, alle Dogmen und alle Begriffe als durchaus mißverständlich und ketzerisch zurückweisen.
    Als das stärkste Beispiel eines Systems, das scheinbar in seinen Grundzügen unverändert durch zwei Jahrtausende gewandert ist, während es in Wirklichkeit in drei Kulturen drei vollständige Entwicklungen von jedesmal ganz andrer Bedeutung durchgemacht hat, gebe ich hier die
Geschichte des römischen Rechts.
13
    Das antike Recht ist ein Recht, das von Bürgern für Bürger geschaffen wird.
Es setzt als selbstverständliche Staatsform die Polis voraus. Erst aus dieser Grundform des öffentlichen Daseins ergibt sich, und zwar wieder mit Selbstverständlichkeit, der Begriff der Person als des Menschen, der in seiner Gesamtheit mit dem Körper (σῶμα) [R. Hirzel, Die Person (1914), S. 17.] des Staates identisch ist. Aus dieser formalen Tatsache des antiken Weltgefühls hat sich das gesamte antike Recht entwickelt.
Persona
ist also
ein spezifisch antiker Begriff, der nur innerhalb dieser einen Kultur Sinn und Geltung besitzt.
Die einzelne Person ist ein Leib (σῶμα), der zum Bestande der Polis gehört. Das Recht der Polis bezieht sich
nur
auf ihn. Es geht nach unten über in das Sachenrecht – die Grenze bildet das Rechtsverhältnis des Sklaven, der ein Leib, aber keine Person ist – nach oben in das göttliche Recht – die Grenze bildet der Heros, der aus einer Person zur Gottheit geworden ist und nun den Rechtsanspruch auf einen Kult besitzt, wie in griechischen Städten Lysander und Alexander und später in Rom die zu
Divi
erhobenen Kaiser. Aus dem in dieser Richtung immer schärfer entwickelten antiken Rechtsdenken erklärt sich auch ein Begriff wie die
capitis deminutio media,
der dem abendländischen Menschen sehr fremd ist: wir können uns denken, daß einer Person in unserem Sinne gewisse oder auch alle Rechte entzogen werden; der antike Mensch hört aber durch diese Strafe auf,
eine Person zu sein,
obwohl er körperlich weiterlebt. Erst im Gegensatz zu diesem Begriff der Person, als ihr Objekt, ist der spezifisch antike Begriff der Sache,
res,
zu fassen.
    Da die antike Religion durchaus Staatsreligion ist, so besteht in der Rechtserzeugung kein Unterschied: Sachenrecht und göttliches Recht werden ebenfalls von Bürgern geschaffen. Sachen und Götter stehen in einem genau geregelten Rechtsverhältnis zu den Personen. Es ist nun für das antike Recht von entscheidender Bedeutung, daß es aus der unmittelbaren öffentlichen Erfahrung heraus erzeugt wird, und zwar nicht aus der beruflichen des Richters, sondern der praktisch-allgemeinen des Mannes, der im politisch-wirtschaftlichen Leben überhaupt eine bedeutende Stellung einnahm. Wer in Rom die Ämterlaufbahn einschlug, wurde mit Notwendigkeit Jurist, Heerführer, Verwaltungschef und Finanzbeamter. Er sprach als Prätor Recht, nachdem er sich eine große Erfahrung auf ganz anderen Gebieten angeeignet hatte. Der Richter als Stand, der für diese eine Tätigkeit fachmännisch und sogar theoretisch ausgebildet wird, ist der Antike durchaus unbekannt. Das hat die ganze spätere Rechtswissenschaft ihrem Geiste nach bestimmt. Die Römer waren hier weder Systematiker noch Historiker noch Theoretiker, sondern lediglich glänzende Praktiker. Ihre Jurisprudenz ist eine
Erfahrungswissenschaft von Einzelfällen,
eine durchgeistigte Technik, kein Gebäude von Abstraktionen. [L. Wenger, Das Recht der Griechen und Römer (1914), S. 170. R. v. Mayr, Römische Rechtsgeschichte II, I, S. 87.]
    Es ergibt ein falsches Bild, wenn man griechisches und römisches Recht wie zwei Größen gleicher Ordnung gegenüberstellt. Das römische Recht ist in seiner ganzen Entwicklung ein einzelnes Stadtrecht unter vielen Hunderten gewesen, und ein griechisches Recht als Einheit hat es nie gegeben. Wenn die griechisch sprechenden Städte vielfach sehr ähnliche Rechte ausgebildet haben, so ändert das nichts an der Tatsache, daß jede ihr eignes besitzt. Nie ist der Gedanke an eine allgemein dorische oder gar hellenische Gesetzgebung aufgetaucht. Dem antiken Denken lagen solche

Weitere Kostenlose Bücher