Der Untergang des Abendlandes
führt im 8. Jahrhundert zu Werken in der Art unsrer Landrechte des 18. Jahrhunderts, wie die Ekloga des Kaisers Leo [Krumbacher, Byzantinische Literatur-Geschichte, S. 606.] und das Corpus des persischen Erzbischofs Jesubocht, eines großen Juristen. [Sachau, Syrische Rechtsbücher, Bd. III.] Damals lebte bereits der größte Jurist des Islam, Abu Hanifa.
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Die Rechtsgeschichte des Abendlandes beginnt ganz unabhängig von der damals vollständig verschollenen Schöpfung Justinians. Von deren völliger Bedeutungslosigkeit zeugt die Tatsache, daß sich der Hauptteil, die Pandekten, in einer einzigen Handschrift erhalten hat, die um 1050 zufällig – leider – gefunden wurde.
Die Vorkultur hat seit 500 eine Reihe germanischer Stammesrechte – das west- und ostgotische, burgundische, fränkische, langobardische – hervorgebracht. Sie entsprechen denen der arabischen Vorkultur, von denen uns nur die jüdischen [Bertholet, Kulturgeschichte Israels, S. 200 ff.] erhalten geblieben sind: das Deuteronomion (um 621, jetzt etwa Mos. V, 12–26) und der Priesterkodex (um 450, jetzt etwa Mos. II–IV). Sie beschäftigen sich beide mit den Grundwerten eines primitiven Daseins: Familie und Habe, und benützen beide in urwüchsiger und doch kluger Weise ein altes zivilisiertes Recht – die Juden und sicherlich ebenso die Perser und andere das spätbabylonische, [Eine Ahnung davon gibt das berühmte Gesetz Hammurabis, ohne daß wir wissen können, wie dies einzelne Werk sich dem inneren Range nach zu dem in der babylonischen Welt überhaupt erreichten Recht verhält.] die Germanen einige Reste der stadtrömischen Literatur.
Das politische Leben der gotischen Frühzeit mit seinen bäuerlichen, feudalen und einfachsten Stadtrechten führt sehr bald zu einer Sonderentwicklung in drei großen Rechtsgebieten, die heute noch in der gleichen Schärfe fortbestehen. Es fehlt an einer einheitlichen und vergleichenden Rechtsgeschichte des Abendlandes, welche den Sinn dieser Entwicklung bis in seine letzte Tiefe verfolgt.
Bei weitem das wichtigste wurde infolge der politischen Schicksale das aus dem fränkischen entlehnte normannische Recht. Es hat nach der Eroberung Englands 1066 das einheimische sächsische unterdrückt, und seitdem ist in England »das Recht der Großen das Recht des ganzen Volkes«. Seinen rein germanischen Geist hat es von einer unerhört strengen feudalen Fassung bis zur heute geltenden ohne Erschütterung fortgebildet und es ist in Kanada, Indien, Australien, Südafrika und den Vereinigten Staaten herrschendes Recht geworden. Ganz abgesehen von dieser Macht ist es auch das lehrreichste von Westeuropa. Im Unterschied von den andern lag seine Weiterbildung
nicht
in den Händen theoretischer Rechtslehrer. Das Studium des römischen Rechts in Oxford wird der Praxis ferngehalten. Der hohe Adel lehnte es 1236 zu Merton ausdrücklich ab. Der Richterstand selbst bildet den alten Rechtsstoff durch schöpferische Präjudizien fort, und aus diesen praktischen Entscheidungen
(reports)
gehen dann die Rechtsbücher hervor wie dasjenige Bractons (1259). Seitdem und heute noch gehen das durch die Entscheidungen fortgesetzt lebendig erhaltene Statutenrecht und das aus der Gerichtspraxis jederzeit erkennbare Gewohnheitsrecht nebeneinander her, ohne daß einmalige Gesetzgebungsakte der Volksvertretung nötig wären.
Im Süden herrschten die erwähnten germanisch-romanischen Codices, in Südfrankreich der westgotische als
droit écrit
im Gegensatz zum fränkischen
droit coutumier
des Nordens, in Italien bis tief in die Renaissance der bedeutendste von ihnen, der fast rein germanische der Langobarden. In Pavia entstand eine Hochschule deutschen Rechts, aus welcher um 1070 die weitaus bedeutendste rechtswissenschaftliche Leistung dieser Zeit, die Expositio, und gleich darauf ein Gesetzbuch, die Lombarda, hervorging. [Sohm, Inst., S. 156.] Die Rechtsentwicklung des gesamten Südens wurde durch den
Code civil
Napoleons abgebrochen und ersetzt. Dies Buch ist in allen romanischen Ländern und weit darüber hinaus die Grundlage weiterer Gestaltung geworden und damit nach dem englischen Recht das wichtigste.
In Deutschland zerrann die mit den gotischen Stammesrechten (Sachsenspiegel 1230, Schwabenspiegel 1274) gewaltig einsetzende Bewegung im Nichts. Ein Gewirr kleiner Stadt- und Territorialrechte kam auf, bis die lebensfremde politische Romantik von Träumern und Schwärmern wie dem Kaiser Maximilian, die im Elend der Tatsachen
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