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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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aufblühte, auch das Recht ergriff. Der Reichstag zu Worms schuf 1495 nach italienischem Muster die Kammergerichtsordnung. Zum Heiligen Römischen Reich trat das kaiserlich römische als gemeines deutsches Recht. Das altdeutsche Prozeßverfahren wurde gegen das italienische vertauscht, die Richter mußten jenseits der Alpen studieren und sie empfingen ihre Erfahrungen statt aus dem Leben, das sie umgab, aus einer begriffespaltenden Philologie. Nur in diesem Lande gibt es seitdem Ideologen des römischen Rechts, welche das
Corpus juris
wie ein Heiligtum gegen die Wirklichkeit verteidigen.
    Was war es denn, das unter diesem Namen in den geistigen Besitz einer kleinen Anzahl gotischer Menschen überging? Um 1100 hatte an der Hochschule zu Bologna ein Deutscher, Irnerius, jene einzige Pandektenhandschrift zum Gegenstand einer echten Rechtsscholastik gemacht. Er übertrug die langobardische Methode auf den neuen Text, »an dessen Wahrheit als einer
ratio scripta
geglaubt wird wie an die Bibel und den Aristoteles«. [Lenel I, S. 395.] Wahrheit – aber das gotische Verstehen, an die gotische Lebenshaltung gebunden, war weit davon entfernt, den Geist dieser Sätze, der die Prinzipien eines zivilisierten und weltstädtischen Lebens in sich schloß, auch nur von fern zu ahnen. Diese Glossatorenschule stand wie alle Scholastik im Banne des Begriffsrealismus – das eigentlich Wirkliche, die Substanz der Welt, sind nicht die Dinge, sondern die allgemeinen Begriffe – und es war für sie über allen Zweifel erhaben, daß man das wahre Recht nicht aus Gewohnheit und Sitte wie die »elende und schmutzige« Lombarda, sondern durch Hin- und Herwenden abstrakter Begriffe finde. [Das Wortspiel von lombardischer
faex
und römischer
lex
ist von Huguccio (1200).] Sie hatten ein rein dialektisches Interesse an dem Buch [W. Goetz, Archiv für Kulturgeschichte 10, 28 ff.] und dachten nicht im geringsten an eine Anwendung ihrer Gelehrsamkeit auf das Leben. Erst nach 1300 dringen ihre Glossen und Summen gegen die lombardischen Rechte der Renaissancestädte langsam vor. Die Juristen der Spätgotik, Bartolus vor allem, haben kanonisches und germanisches Recht zu einem für die praktische Anwendung bestimmten Ganzen verschmolzen. Sie trugen wirkliche Gedanken hinein, und zwar die einer beginnenden Spätzeit, die etwa der Gesetzgebung Drakons und den Erlassen der Kaiser von Diokletian bis Theodosius entspricht. Die
Schöpfung des Bartolus
ist in Spanien und Deutschland als »römisches Recht« geltend geworden; nur in Frankreich ging die Jurisprudenz des Barock seit Cujacius und Donellus vom scholastischen zum byzantinischen Text zurück.
    Neben der abstrakten Leistung des Irnerius ist aber, und zwar auch in Bologna, etwas ganz Entscheidendes geschehen. Hier schrieb um 1140 der Mönch Gratian sein berühmtes Decretum. Er schuf damit die abendländische
Wissenschaft vom geistlichen Recht
, indem er [ Nach Sohms letzter Abhandlung: Das altkatholische Kirchenrecht und das Dekret Gratians (1918).] das altkatholische – magische – Kirchenrecht von dem früharabischen [Vgl. Bd. II, Kap. III, I.] Ursakrament der Taufe her in ein System brachte. Nun hatte das neukatholische – faustische – Christentum eine Form gefunden, in der es sein Dasein rechtlich zum Ausdruck brachte. Es geschah von dem gotischen Ursakrament des Altars (und dessen Stütze, der Priesterweihe) aus. 1234 ist im
Liber extra
das Hauptstück des
Corpus juris canonici
fertig geworden. Was das Kaisertum nicht vermocht hatte, die
Schöpfung eines allgemein abendländischen Corpus juris germanici
aus all den reichen Ansätzen der Stammesrechte, das gelang dem Papsttum. Ein vollständiges Privatrecht mit Strafrecht und Prozeßordnung entstand mit germanischer Methode aus dem geistlich-weltlichen Rechtsstoff der Gotik. Es ist das »römische« Recht, dessen Geist seit Bartolus auch das Studium des justinianischen Werkes durchdrang. Und damit erscheint auch im Recht der große faustische Zwiespalt, welcher den riesenhaften Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum heraufgeführt hat. Wie in der arabischen Welt der Widerspruch zwischen
jus
und
fas
unmöglich, so ist er in der abendländischen unvermeidlich. Sie sind beide Ausdruck eines Willens zur Macht über das Unendliche: der weltliche Rechtswille stammt aus der Sitte und legt seine Hand auf die Generationen der Zukunft, der geistliche stammt aus einer mystischen Gewißheit und gibt ein zeitlos ewiges Gesetz. [Vgl. Bd. II, Kap. IV, I.]

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