Der Untergang des Abendlandes
bestimmend. Es ist eine müßige Frage, ob die Mitteilungssprachen vor dem Auftreten echter Namen schon wirkliche »Sätze« enthielten. Der Satz im heutigen Sinne hat sich zwar aus eigenen Bedingungen und mit eigenen Epochen innerhalb dieser Sprachen entwickelt, aber er setzt dennoch das Dasein der Namen voraus. Erst die geistige Wendung, die mit ihrer Geburt eingetreten ist, macht Sätze als gedankliche Beziehungen möglich. Und zwar müssen wir annehmen, daß in den sehr entwickelten wortlosen Sprachen, unter fortwährendem Gebrauch, ein Zug nach dem andern in Wortformen umgesetzt und damit einem mehr und mehr geschlossenen Gefüge, der Urform aller heutigen Sprachen, eingegliedert worden ist. Der innere Bau aller Wortsprachen beruht also auf viel älteren Strukturen und ist in seiner Weiterbildung von dem Wortschatz und dessen Schicksalen nicht abhängig. Das Umgekehrte ist der Fall.
Denn mit dem Satzbau verwandelt sich die ursprüngliche Gruppe einzelner
Namen
in ein System von
Worten
, deren Charakter nicht mehr durch ihre eigene, sondern ihre grammatische Bedeutung bestimmt wird. Der Name tritt als etwas Neues ganz für sich auf. Die Wortarten aber entstehen als Satzelemente; und nun strömen in unübersehbarer Menge die Wachseinsinhalte heran, die bezeichnet, in dieser Welt von Worten vertreten sein wollen, bis zuletzt »alles« für das Nachdenken in irgendeiner Weise Wort geworden ist.
Der Satz ist von da an das Entscheidende. Wir sprechen in Sätzen und nicht in Worten. Beides zu definieren ist unendlich oft versucht worden und nie gelungen. Nach F. N. Finck ist die Wortbildung eine zerlegende, die Satzbildung eine zusammenfügende Tätigkeit des Geistes, und zwar geht die erste der zweiten vorauf. Es zeigt sich, daß die empfundene Wirklichkeit sehr verschieden verstanden und die Worte also nach sehr verschiedenen Gesichtspunkten abgegrenzt werden können. [Die Haupttypen des Sprachbaus (1910).] Aber nach der gewöhnlichen Definition ist der Satz der sprachliche Ausdruck eines
Gedankens
, nach H. Paul ein Symbol für die Verbindung mehrerer
Vorstellungen
in der Seele des Sprechenden. Alle diese Bestimmungen widersprechen sich. Es scheint mir ganz unmöglich, das Wesen des Satzes aus dem Inhalt zu ermitteln. Tatsache ist lediglich, daß wir die relativ größten
mechanischen Einheiten
im Sprachgebrauch Sätze, die relativ kleinsten Worte nennen. So weit erstreckt sich die Geltung grammatischer
Gesetze
. Das fortlaufende Sprechen ist kein Mechanismus mehr und gehorcht nicht Gesetzen, sondern dem
Takt
. Es liegt also schon ein Rassezug in der Art, wie das Mitzuteilende in Sätze gefaßt wird. Sätze sind bei Tacitus und Napoleon nicht dasselbe wie bei Cicero und Nietzsche. Der Engländer teilt den Stoff syntaktisch anders auf als der Deutsche. Nicht Vorstellungen und Gedanken, sondern das Denken, die Art des Lebens,
das Blut
bestimmen in den primitiven, antiken, chinesischen, abendländischen Sprachgemeinschaften die typische Abgrenzung der Satzeinheiten und damit das
mechanische
Verhältnis des Wortes zum Satz. Die Grenze zwischen Grammatik und Syntax sollte dort angesetzt werden, wo das Mechanische der Sprache aufhört und das Organische des Sprechens beginnt: der Sprachgebrauch, die Sitte, die
Physiognomie
der Art eines Menschen, sich auszudrücken. Die andere Grenze liegt dort, wo die mechanische Struktur des Wortes in die organischen Faktoren der Lautbildung und Aussprache übergeht. An der Aussprache des englischen th – einem Rassezug der Landschaft – erkennt man oft noch die Kinder der Eingewanderten. Nur was zwischen beiden liegt, »
die Sprache
«, hat System, ist ein technisches Mittel und wird deshalb erfunden, verbessert, gewechselt, abgenützt; Aussprache und Ausdruck haften an der
Rasse.
Wir erkennen eine uns bekannte Person, ohne sie zu sehen, an der Aussprache, ebenso aber den Angehörigen einer fremden
Rasse
, auch wenn er ein vollkommen richtiges Deutsch spricht. Die großen Lautverschiebungen wie die althochdeutsche in karolingischer und die mittelhochdeutsche in spätgotischer Zeit haben eine landschaftliche Grenze und berühren nur das Sprechen, nicht die innere Form von Satz und Wort.
Die Worte sind, wie gesagt, die relativ kleinsten mechanischen Einheiten im Satz. Nichts ist vielleicht für das Denken einer Menschenart bezeichnender als die Art, wie diese Einheiten gewonnen werden. Für den Bantuneger gehört ein Ding, das er sieht, zunächst einer sehr großen Zahl von
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