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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Zerfall der Religion in drei Kirchen geführt hat; und zwar steht es, was auf manches hindeutet, der Lösung am nächsten, die der nestorianische Osten als wahr vertreten hat. Es ist trotz oder gerade wegen des griechischen Wortes Logos das »
östlichste
« der Evangelien und dazu kommt, daß es Jesus gar nicht als Bringer der letzten und ganzen Offenbarung gelten läßt. Er ist der zweite Gesandte. Es wird
noch ein anderer
kommen (Joh. 14, 16. 26; 15, 26). Das ist die erstaunliche Lehre, die Jesus selbst verkündet, und das Entscheidende in diesem geheimnisvollen Buche. Hier enthüllt sich der Glaube des magischen Ostens. Wenn der Logos nicht geht, kann der Paraklet [Vohu mano, der Geist der Wahrheit, in Gestalt des Saoshyant.] nicht kommen (16, 7), aber zwischen beiden hegt der letzte Aion, das Reich Ahrimans (14, 30). Die von paulinischem Geist beherrschte Kirche der Pseudomorphose hat das Johannesevangelium lange bekämpft und erst anerkannt, nachdem die anstößige, dunkel angedeutete Lehre durch eine paulinische Deutung verdeckt worden war. Wie es eigentlich damit stand, lehrt die auf mündliche Tradition hinweisende Bewegung der Montanisten (um 160 in Kleinasien), die in Montanus den erschienenen Paraklet und das Weltende verkündeten. Sie fanden ungeheuren Zulauf. In Karthago bekannte sich Tertullian seit 207 zu ihnen. Um 245 hat Mani, der mit den Strömungen des östlichen Christentums sehr vertraut war, [Auch Bardesanes und das System der Thomasakten stehen ihm und »Johannes« nahe.] in seiner großen Religionsschöpfung den paulinischen, menschlichen Jesus als Dämon verworfen und den johanneischen Logos als den wahren Jesus anerkannt, sich selbst aber als den Paraklet des Johannes bezeichnet. In Karthago wurde Augustin Manichäer, und es will viel sagen, daß beide Bewegungen endlich mit derjenigen Marcions verschmolzen sind.
    Kehren wir zu Marcion selbst zurück, so hat er den Gedanken des »Johannes« durchgeführt und eine Christenbibel geschaffen. Und nun ging er, fast ein Greis, als die Gemeinden des äußersten Westens entsetzt vor ihm zurückwichen, [A. v. Harnack, S. 24. Der Bruch mit der bestehenden Kirche erfolgte 144 in Rom.] daran, eine eigene Erlöserkirche von meisterhaftem Aufbau zu gründen. [A. v. Harnack 181 ff.] Sie war 150 bis 190 eine Macht und erst im folgenden Jahrhundert gelang es der älteren Kirche, die Marcioniten zum Range einer Sekte herabzudrücken, obwohl sie noch viel später im weiten Osten bis nach Turkestan hin eine große Bedeutung hatten und zuletzt, was für ihr Grundgefühl sehr bezeichnend ist, mit den Manichäern verschmolzen sind. [Sie hatten wie jede magische Religion auch eine eigene Schriftart, die der manichäischen immer ähnlicher geworden ist.] Trotzdem ist seine gewaltige Tat, bei welcher er das Beharrungsvermögen des Vorhandenen im Vollgefühl seiner Überlegenheit unterschätzt hatte, nicht fruchtlos gewesen. Er war wie Paulus vor ihm und Athanasius nach ihm ein Retter des Christentums in einem Augenblick, wo es zu zerfallen drohte, und es tut der Größe seiner Gedanken gewiß keinen Eintrag, daß der Zusammenschluß nicht durch sie, sondern im Widerstand gegen sie erfolgt ist. Die frühkatholische Kirche, das heißt
die Kirche der Pseudomorphose,
ist in ihrer großen Form erst um 190 und zwar aus der Notwehr gegen die Kirche Marcions entstanden, indem sie deren ganze Organisation übernahm. Aber sie hat auch die Bibel Marcions durch eine andere von genau derselben Anlage ersetzt: Evangelien und Apostelbriefe, die sie dann mit dem Gesetz und den Propheten zu einer Einheit verband. Und sie hat endlich, nachdem schon durch die Verbindung der beiden Testamente über die Auffassung des Judentums entschieden war, auch Marcions dritte Schöpfung, seine Erlöserlehre, bekämpft, indem sie mit der Ausbildung einer eigenen Theologie auf Grund
seiner
Stellung der Probleme begann.
    Aber diese Entwicklung erfolgte ausschließlich auf antikem Boden, und damit war auch die gegen Marcion und seine Ausschaltung des Judaismus aufgerichtete Kirche für das talmudische Judentum, dessen geistiger Schwerpunkt jetzt ganz in Mesopotamien und an dessen Hochschulen lag, lediglich ein Stück hellenistischen Heidentums. Die Zerstörung Jerusalems war ein grenzsetzendes Ereignis, das in der Tatsachenwelt durch keine geistige Macht überwunden werden konnte. Wachsein, Religion und Sprache sind innerlich viel zu nahe verwandt, als daß die vollständige Trennung eines

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