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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Menschen.
    Aber wichtiger als das alles erscheint der Gegensatz von
Geist und Seele
– hebräisch
ruach
und
nephesch
, persisch
ahu
und
urvan
, mandäisch
monuhmed
und
gyan
, griechisch
pneuma
und
psyche
–, der zuerst im Grundgefühl der prophetischen Religionen auftaucht, dann die gesamte Apokalyptik durchsetzt und endlich alle Weltanschauungen der erwachten Kultur bildet und leitet: bei Philo, Paulus und Plotin, bei Gnostikern und Mandäern, bei Augustin und im Awesta, im Islam und in der Kabbala.
Ruach
bedeutet ursprünglich den Wind,
nephesch
den Atem. [Auch die Seelensteine auf den jüdischen, sabäischen und islamischen Gräbern heißen
nephesch
. Sie sind unverkennbar Sinnbilder des »Hinauf«. Zu ihnen gehören die ungeheuren Stockwerkstelen in Axum aus dem 1.–3. Jahrh. n. Chr., also der großen Zeit magischer Frühreligionen. Die längst umgestürzte Riesenstele ist der größte Einzelstein, den die Kunstgeschichte überhaupt kennt, größer als alle ägyptischen Obelisken. (Deutsche Aksum-Expedition Bd. 2, S. 28 ff.)] Die
nephesch
ist immer irgendwie dem Leibe und Irdischen verwandt, dem Unten, dem Bösen, der Finsternis. Ihr Streben ist das »Hinauf«. Die
ruach
gehört zum Göttlichen, zum Oben und zum Lichte. Sie bewirkt im Menschen, indem sie sich herabsenkt, das Heldentum (Simson), den heiligen Zorn (Elias), die Erleuchtung des Richters, der ein Urteil fällt (Salomo), [Hierauf beruht Idee und Praxis des magischen Rechts, vgl. Bd. II, S. 641 f.] und alle Arten von Weissagung und Ekstase. Sie wird ausgegossen. [Jes. 32,15; IV. Esra 14, 39; Apostel-Gesch. 2.] Seit Jes. 11, 2 ist Messias die Verkörperung der
ruach
. Nach Philo und der islamischen Theologie zerfallen die Menschen von Geburt in Psychiker und Pneumatiker (die »Auserwählten« – ein echter Begriff der Welthöhle und des Kismet). Alle Söhne Jakobs sind Pneumatiker. Für Paulus (I. Kor. 15) liegt der Sinn der Auferstehung in dem Gegensatz von einem psychischen und einem pneumatischen Leibe, der sich bei ihm, Philo und in der Baruchapokalypse mit dem Gegensatz von Himmel und Erde, von Licht und Dunkelheit deckt. [Reitzenstein, Das iran. Erlösungsmysterium, S. 108 f.] Der Heiland ist für ihn das himmlische Pneuma. [Bousset, Kyrios Christos, S. 142.] Im Johannesevangelium verschmilzt er als Logos mit dem Lichte; im Neuplatonismus tritt er als Nus oder das All-Eine nach antikem Begriffsgebrauch in Gegensatz zur Physis. [Windelband, Gesch. d. Phil., (1900), S. 189 ff.; Windelband-Bonhöffer, Gesch. d. antiken Phil. (1912), S. 328 f.; Geffcken, Der Ausgang des griech.-röm. Heidentums (1920), S. 51 f.] Paulus und Philo haben nach »antiker«, also westlicher Begriffsteilung Geist und Fleisch mit Gut und Böse gleichgesetzt, Augustin als Manichäer [Jodl, Geschichte der Ethik I, S. 58.] setzt beides mit persisch-östlicher Begriffsverteilung, als von Natur böse, Gott als dem allein Guten entgegen und begründet darauf seine Lehre von der Gnade, die sich in gleicher Gestalt ganz unabhängig von ihm auch im Islam entwickelt hat.
    Aber die Seelen in der Tiefe sind etwas Vereinzeltes; das Pneuma ist eins und immer dasselbe. Der Mensch
besitzt
eine Seele, aber am Geiste des Lichts und des Guten
nimmt er nur teil
; das Göttliche läßt sich in ihn herab, es verbindet so alle Einzelnen dort unten mit dem Einen in der Höhe. Dieses Urgefühl, welches das gesamte Glauben und Meinen aller magischen Menschen beherrscht, ist etwas ganz Einziges und trennt nicht nur ihre Weltanschauung, sondern auch jede Art magischer Religiosität im Kern ihres Wesens von jeder andern. Diese Kultur war, wie gezeigt worden ist, ganz eigentlich die der Mitte. Sie hätte von den meisten andern deren Formen und Gedanken entlehnen können; aber daß sie das nicht tat, daß sie trotz allen Aufdrängens und Sichanbietens in diesem Grade Herrin ihrer eigenen inneren Form geblieben ist, beweist die unüberbrückbare Tiefe des Unterschieds. Aus den Schätzen der babylonischen und ägyptischen Religion hat sie kaum einige Namen zugelassen; die antike und indische Kultur oder vielmehr deren zivilisiertes Erbe: Hellenismus und Buddhismus haben ihren Ausdruck verwirrt bis zur Pseudomorphose, aber ihr Wesen nicht einmal berührt. Alle Religionen der magischen Kultur von den Schöpfungen des Jesaja und Zarathustra bis zum Islam bilden eine vollkommene innere Einheit des Weltgefühls, und so wenig im Awestaglauben auch nur ein brahmanischer Zug, im Urchristentum auch nur eine Spur

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