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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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liegt, nicht nur ein Element der christlichen Mystik, sondern zuletzt ein
Dogma
geworden. [A. v. Harnack, Dogmengeschichte, S. 165.] Das war unvermeidlich. Dieses Dogma
beider
Kirchen entspricht als Wissensseite durchaus der Glaubensseite, welche durch die synkretistischen Kulte einerseits, die Marien- und Heiligenkulte andrerseits dargestellt wurde. Gegen beides, Dogma wie Kult, hat sich das Gefühl des Ostens seit dem 4. Jahrhundert erhoben.
    Für das Auge aber wiederholt sich die Geschichte dieser Gedanken und Begriffe in der Geschichte der magischen Architektur. [Bd. I, Kap. III.]
Die Grundform der Pseudomorphose ist die Basilika
; sie war vor den Christen schon den Juden des Westens und den hellenistischen Sekten der Chaldäer bekannt. Wie der Logos des Johannesevangeliums ein magischer Urbegriff in antiker Fassung, so ist die Basilika ein magischer Raum, dessen Innenwände den antiken Außenflächen eines Tempelkörpers gleichen, ein verinnerlichter Kultbau. Die Bauform des reinen Ostens ist der
Kuppelbau
, die
Moschee
, die ohne Zweifel lange vor den ältesten christlichen Kirchen in den Tempeln der Perser und Chaldäer, den Synagogen Mesopotamiens und vielleicht den Tempeln von Saba angelegt war. Die Ausgleichsversuche zwischen West und Ost auf den Konzilen der byzantinischen Zeit endlich werden durch die Mischform der Kuppelbasilika symbolisiert. Denn in diesem Stück kirchlicher Baugeschichte ist auch die große Wandlung zum Ausdruck gekommen, welche mit Athanasius und Konstantin, den letzten großen Rettern des Christentums, eintrat. Der eine schuf das feste westliche Dogma und das Mönchtum, in dessen Hände die erstarrende Lehre allmählich von den Hochschulen hinüberglitt; der andere begründete den Staat der christlichen Nation, auf den der Griechenname endlich überging: die Kuppelbasilika ist das architektonische Symbol dieser Entwicklung.
     

II. Die magische Seele
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    Die Welt, wie sie sich vor dem magischen Wachsein ausbreitet, besitzt eine Art von Ausgedehntheit, die höhlenhaft genannt werden darf, [Nach einem Ausdruck von L. Frobenius, Paideuma (1920), S. 92.] so schwer es dem Menschen des Abendlandes auch ist, im Vorrat seiner Begriffe auch nur ein Wort ausfindig zu machen, mit dem er den Sinn des magischen »Raumes« wenigstens andeuten könnte. Denn »Raum« bedeutet für das Empfinden beider Kulturen durchaus zweierlei. Die Welt als Höhle ist von der faustischen Welt als Weite mit ihrem leidenschaftlichen Tiefendrang ebenso verschieden wie von der antiken Welt als Inbegriff körperlicher Dinge. Das kopernikanische System, in dem die Erde sich verliert, muß dem arabischen Denken wahnwitzig und frivol erscheinen. Die Kirche des Abendlandes hatte vollkommen recht, wenn sie einer Vorstellung widerstrebte, die mit dem Weltgefühl Jesu unvereinbar war. Und die chaldäische
Höhlenastronomie
, die für Perser und Juden, die Menschen der Pseudomorphose und des Islam etwas ganz Natürliches und Überzeugendes hatte, wurde den wenigen echten Griechen, die sie zur Kenntnis nahmen, nur durch ein Andersverstehen der räumlichen Grundlage zugänglich.
    Die mit dem Wachsein identische Spannung zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos führt im Weltbild jeder Kultur zu weiteren Gegensätzen von symbolischer Bedeutung. Alles Empfinden oder Verstehen, alles Glauben oder Wissen eines Menschen wird durch einen Urgegensatz gestaltet, der sie zwar zu Tätigkeiten des Einzelnen, aber zum Ausdruck der Gesamtheit macht. In der Antike kennen wir den jedes Wachsein beherrschenden Gegensatz von Stoff und Form, im Abendlande den von Kraft und Masse. Aber die Spannung verliert sich dort im Kleinen und Einzelnen und entlädt sich hier in Wirkungszügen. In der Welthöhle verharrt sie schwebend und im Hin und Her eines ungewissen Ringens und erhebt sich damit zu jenem – »semitischen« – Urdualismus, der tausendgestaltig und doch immer derselbe die magische Welt erfüllt. Das Licht durchschimmert die Höhle und wehrt sich gegen die Finsternis (Joh. 1, 5). Beides sind magische Substanzen. Oben und Unten, Himmel und Erde werden zu wesenhaften Mächten, die sich bekämpfen. Aber diese Gegensätze des ursprünglichsten Sinnesempfindens mischen sich mit denen des grübelnden und wertenden Verstehens: Gut und Böse, Gott und Satan. Der Tod ist für den Schöpfer des Johannesevangeliums wie für den strengen Moslim nicht das Ende des Lebens, sondern ein Etwas, eine Kraft neben ihm, und beide streiten um den Besitz des

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