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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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griechischen Sprachgebiets der Pseudomorphose und eines aramäischen der eigentlich arabischen Landschaft nicht seit dem Jahre 70 zwei Sondergebiete magischer Religionsentwicklung geschaffen hätte. Am Westrande der jungen Kultur waren die heidnische Kultkirche, die von Paulus dorthin verwiesene Jesuskirche und das griechisch redende Judentum vom Schlage Philos sprachlich und literarisch so ineinandergedrängt, daß das letzte dem Christentum noch im ersten Jahrhundert anheimfiel und dieses mit dem Griechentum eine
gemeinsame
frühe Philosophie ausbildete. Im aramäischen Sprachgebiet vom Orontes bis zum Tigris aber standen Judentum und Persertum, die jetzt beide im Talmud und Awesta eine strenge Theologie und Scholastik schufen, in enger Wechselwirkung, und beide Theologien haben seit dem 4. Jahrhundert
den stärksten Einfluß auf das der Pseudomorphose widerstrebende Christentum aramäischer Sprache
ausgeübt, bis es sich in Gestalt der nestorianischen Kirche abgelöst hat.
    Hier im Osten entwickelte sich der in jedem menschlichen Wachsein angelegte Unterschied von empfindendem Verstehen und sprachlichem Verstehen – also von Auge und Buchstabe – zu rein arabischen Methoden der Mystik und Scholastik. Die apokalyptische Gewißheit, die Gnosis im Sinne des 1. Jahrhunderts, wie sie Jesus verleihen wollte, [Matth. 11, 25 ff., und dazu Ed. Meyer, Urspr. u. Anf. d. Christ., S. 286 ff., wo gerade die alte und östliche, also echte Form der Gnosis beschrieben ist.] das ahnende Schauen und Fühlen ist das der israelitischen Propheten, der Gathas, des Sufismus und sie ist noch bei Spinoza, dem polnischen Messias Baalschem [Vgl. weiter unten.] und bei Mirza Ali Mohammed, dem schwärmerischen Begründer der Babistensekte (in Teheran hingerichtet 1850), erkennbar. Die andere, die Paradosis, ist die eigentlich talmudische Methode der Worterklärung, wie sie Paulus vollkommen beherrschte [Ein drastisches Beispiel Gal. 4, 24–26.] und die alle späteren Awestawerke durchdringt und ebenso die nestorianische Dialektik [Loofs, Nestoriana (1905), S. 165 ff.] und die ganze Theologie des Islam.
    Demgegenüber ist die Pseudomorphose ein völlig einheitliches Gebiet sowohl des magischen gläubigen Hinnehmens (Pistis) als des metaphysischen Innewerdens (Gnosis). [Die beste Entwicklung der den beiden Kirchen gemeinsamen Gedankenmasse gibt Windelband, Geschichte der Philosophie (1900), S. 177 ff., eine Darstellung der Dogmengeschichte der Christenkirche Harnack, Dogmengeschichte (1914); die genau entsprechende »
Dogmengeschichte der Heidenkirche
« bietet – unbewußt – Geffcken, Der Ausgang des griechisch-römischen Heidentums (1920).] Den magischen Glauben westlicher Form haben für die Christen Irenäus und vor allem Tertullian formuliert. Des letzteren berühmtes
Credo quia absurdum
ist der Inbegriff dieser Glaubensgewißheit. Das heidnische Seitenstück bieten Plotin in den Enneaden und Porphyrios besonders in der Schrift »Von der Rückkehr der Seele zu Gott«. [Geffcken, S. 69.] Aber auch für die großen Scholastiker der Heidenkirche gibt es den Vater (Nus), Sohn und das mittlere Wesen, so wie es schon für Philo den Logos als erstgeborenen Sohn und zweiten Gott gegeben hatte. Die Lehre von der Ekstase, von den Engeln und Dämonen, von den beiden Seelensubstanzen ist ihnen allen geläufig und Plotin wie Origenes, beide Schüler desselben Lehrers, zeigen, wie die Scholastik der Pseudomorphose darin besteht, daß man die magischen Begriffe und Gedanken an der Hand platonischer und aristotelischer Texte durch planmäßiges Andersverstehen entwickelt.
    Der eigentliche Kernbegriff des gesamten Denkens der Pseudomorphose ist der Logos
, [Vgl. den nächsten Abschnitt.] in seiner Anwendung und Entwicklung ihr getreues Sinnbild. Von einer Einwirkung »griechischen« – antiken – Denkens kann gar keine Rede sein; es lebte damals kein Mensch, in dessen geistiger Anlage der Logosbegriff Heraklits und der Stoa auch nur von fern Platz gefunden hätte. Aber ebensowenig ist die magische Größe, die gemeint war und die in persischen und chaldäischen Vorstellungen als Geist oder Wort Gottes eine ebenso entscheidende Rolle spielt wie in der jüdischen Lehre als Ruach und Memra, in diesen Theologien, die in Alexandria nebeneinander saßen, zur reinen Entwicklung gekommen. Mit der Logoslehre ist eine antike Formel auf dem Wege über Philo und das Johannesevangelium, dessen unauslöschliche Wirkung auf den Westen auf scholastischem Gebiete

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