Der Untergang des Abendlandes
unerbittlicher Logik entwickelt zu haben – so eindringlich, daß die faustische Seele seit Pelagius auf jedem Wege versucht hat, diese für sie an Selbstvernichtung streifende Gewißheit zu umgehen, und den Ausdruck ihres eigenen Gottbewußtseins jedesmal in einem tiefen und innigen Mißverstehen augustinischer Sätze fand. In Wirklichkeit ist Augustin der letzte große Denker der früharabischen Scholastik und nichts weniger als ein abendländischer Geist. [»Er ist in Wahrheit Abschluß und Vollendung der christlichen Antike, ihr letzter und größter Denker, ihr geistlicher Praktiker und Volkstribun. Von hier aus muß er zuerst verstanden werden. Was dann spätere Zeiten aus ihm gemacht haben, ist eine andere Frage. Seinen eigentlichen, antike Kultur, kirchlich-episkopale Autorität und innerlichste Mystik zusammenfassenden Geist können sie gar nicht fortgesetzt haben, da sie, von anderen Verhältnissen umgeben, andere praktische Aufgaben vor sich hatten.« (E. Troeltsch, Augustin, die christliche Antike und das Mittelalter [1915], S. 7.) Seine Macht beruht wie die Tertullians auch darauf, daß seine Schriften nicht ins Lateinische übersetzt, sondern in dieser
heiligen Sprache
der abendländischen Kirche
gedacht
waren. Eben das schließt beide von dem Gebiet aramäischen Denkens aus. Vgl. Bd. II, S. 832f.] Er war nicht nur zeitweise Manichäer, sondern ist es in sehr wesentlichen Zügen auch als Christ geblieben; seine Nächstverwandten findet man unter den persischen Theologen des jüngeren Awesta mit ihren Lehren vom Gnadenschatz der Heiligen und der absoluten Schuld. Für ihn ist Gnade die
substanzielle
Einflößung von etwas Göttlichem in das menschliche, ebenfalls substanzielle Pneuma. [
Inspiratio bonae voluntatis (De corr. et grat. 3).
»Guter Wille« und »böser Wille« sind ganz dualistisch die zwei entgegengesetzten Substanzen. Dagegen ist für Pelagius Wollen eine
Tätigkeit
ohne moralische Qualität. Erst was man will, hat die
Eigenschaft
, gut oder böse zu sein, und die Gnade Gottes besteht in der
possibilitas utriusque partis
, der Freiheit, dieses oder jenes zu wollen. Gregor I. hat die augustinische Lehre ins Faustische umgedeutet, wenn er lehrte, daß Gott einzelne Menschen verworfen habe, weil er ihren bösen Willen vorauswußte.] Die Gottheit strahlt es aus, der Mensch empfängt es, aber erwirbt es nicht. Bei Augustin wie noch bei Spinoza [Bei Spinoza finden sich alle Elemente der magischen Metaphysik, mag er auch noch so sehr bemüht sein, die arabisch-jüdische Vorstellungswelt seiner spanischen Lehrmeister, vor allem des Moses Maimonides, durch die abendländische des frühen Barock zu ersetzen. Der einzelmenschliche Geist ist für ihn kein Ich, sondern nur ein Modus des einen göttlichen Attributes, der
cogitatio (= pneuma).
Er protestiert gegen Vorstellungen wie »Wille Gottes«. Gott ist reine Substanz, und an Stelle unserer dynamischen Kausalität im All entdeckt er nur die Logik der göttlichen
cogitatio
. Alles das findet sich auch bei Porphyrios, im Talmud, im Islam und ist faustischen Denkern wie Leibniz und Goethe so fremd wie möglich (Allgem. Gesch. d. Philos. in Kultur der Gegenwart I, v. S. 484. Windelband).] fehlt der Begriff der Kraft, und das Freiheitsproblem bezieht sich bei beiden
nicht auf das Ich und seinen Willen
, sondern auf den in einen Menschen versenkten Teil des allgemeinen Pneuma und dessen Verhältnis zu dem Übrigen. Das magische Wachsein ist der
Schauplatz
eines Kampfes zwischen den beiden Weltsubstanzen des Lichtes und der Finsternis. Die frühen faustischen Denker wie Duns Scotus und Occam erblicken im dynamischen Wachsein
selbst einen Kampf
und zwar der beiden Kräfte des Ich, des Willens und des Verstandes. [»Gut« ist hier also eine Wertschätzung und keine Substanz.] Und damit verwandelt sich die Fragestellung Augustins unvermerkt in eine andere, die er selbst nie begriffen hätte: Sind Wollen und Denken freie Kräfte oder nicht? Mag man sie beantworten, wie man will, so ist eins gewiß: Das einzelne Ich hat diesen Kampf
zu führen und nicht zu dulden
. Die faustische Gnade bezieht sich auf den Erfolg des Wollens und nicht die Art einer Substanz. »Gott hat geruht«, heißt es im Westminsterbekenntnis (1646), »gemäß dem unerforschlichen Rat seines eigenen Willens, nach welchem er Erbarmen erweist oder versagt, wem er will, den Rest der Menschheit zu übergehen.« Die andere Auffassung, daß die Idee der Gnade jeden eigenen Willen und
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