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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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zwischen denen das menschliche Dasein eine von allem Ursprung an bestimmte Stelle einnimmt. Nicht nur der Weltraum, auch die Weltzeit ist höhlenhaft, und daraus folgt eine innerliche, echt magische Gewißheit:
daß alles »eine Zeit« hat
, von der Herabkunft des Erlösers an, deren Stunde in alten Texten geschrieben stand, bis zu den kleinsten Verrichtungen des Alltags, bei denen die faustische Eile sinnlos und unverständlich wird. Darauf beruht auch die frühmagische, im besonderen chaldäische Astrologie. Auch sie setzt voraus, daß alles in den Sternen geschrieben steht und daß der wissenschaftlich berechenbare Gang der Planeten auf den Gang der irdischen Dinge schließen lasse. [Vgl. Bd. II, S. 806. Die babylonische Himmelsschau hat zwischen astronomischen und atmosphärischen Elementen nicht deutlich unterschieden und z. B. die Bedeckung des Mondes durch Wolken ebenfalls als »Finsternis« behandelt. Ihren Wahrsagungen diente das jeweilige Himmels
bild nur als Anhalt
, wie andererseits die Leber des Opfertieres. Aber die Chaldäer wollten den
wirklichen
Gang der Gestirne vorausberechnen. Hier setzt die Astrologie also eine echte Astronomie voraus.] Das antike Orakel antwortete auf die einzige Frage, die apollinische Menschen ängstigen konnte: nach der Gestalt, dem Wie der kommenden Dinge. Die Höhlenfrage ist das Wann. Die ganze Apokalyptik, das Seelenleben Jesu, seine Angst in Gethsemane und die große Bewegung, die von seinem Tode ausgeht, werden unverständlich, wenn man diese Urfrage magischen Daseins und ihre Voraussetzungen nicht begreift. Es ist ein untrügliches Kennzeichen für das Schwinden der antiken Seele, daß die Astrologie nach Westen vordringend Schritt für Schritt die Orakel verdrängt. Niemand verrät den Zwischenzustand klarer als Tacitus, dessen verwirrte Weltanschauung seine Geschichtsschreibung ganz und gar beherrscht: Tacitus führt einerseits, als echter Römer, die Macht der alten Stadtgottheiten ein; daneben hat er, als intelligenter Weltstädter, eben diesen Glauben an die Einwirkung der Götter als Aberglauben bezeichnet, endlich aber als Stoiker – und die Stoa war damals eine
magische
Geistesverfassung von den sieben Planeten gesprochen, die das Los der Sterblichen regieren. So kommt es, daß in den folgenden Jahrhunderten die schicksalhafte Zeit selbst, nämlich die Höhlenzeit, als beiderseitig begrenztes und deshalb dem inneren Auge erfaßbares Etwas in der persischen Mystik als Zrvan über das Licht der Gottheit gestellt wird und den Weltkampf zwischen Gut und Böse regiert. Der Zrvanismus ist 438 bis 475 in Persien Staatsreligion gewesen.
    Auf dem Glauben, daß alles in den Sternen geschrieben stehe, beruht es auch im letzten Grunde, wenn die arabische Kultur die der Ären geworden ist, das heißt der Zeitrechnungen von einem Ereignis an, das man als ganz besondere Schickung empfand. Die erste und wichtigste ist die allgemein aramäische, die um 300 mit dem Anwachsen der apokalyptischen Spannung als »Seleukidenära« entstand. Auf sie sind viele andere gefolgt, darunter die sabäische um 115 v. Chr., deren Ausgangspunkt wir nicht näher kennen; die diokletianische; die jüdische Weltschöpfungsära, die 346 n. Chr. vom Synedrion eingeführt wurde [ B. Cohn, Die Anfangsepoche des jüd. Kalenders, Sitz. Pr. Akad., (1914). Aus einer totalen Sonnenfinsternis wurde damals, natürlich mit Hilfe der chaldäischen Astronomie, das Datum des ersten Schöpfungstages berechnet.] ; die persische vom Regierungsantritt des letzten Sassaniden Jezdegerd (632) und die der Hedschra, welche in Syrien und Mesopotamien die seleukidische erst abgelöst hat. Was außerhalb dieser Landschaft entstand, ist lediglich praktische Nachahmung, wie die varronische Zählung
ab urbe condita
, die der Marcioniten vom Bruch ihres Meisters mit der Kirche (144) und auch die christliche von der Geburt Jesu an (bald nach 500). Weltgeschichte ist das Bild der lebendigen Welt, in das der Mensch sich durch seine Geburt, durch Vorfahren und Nachkommen hineinverwebt sieht und das er aus seinem Weltgefühl heraus zu begreifen sucht. Das Geschichtsbild des antiken Menschen drängt sich um das rein Gegenwärtige zusammen. Es enthält ein Sein, kein eigentliches Werden, und als abschließenden Hintergrund den zeitlosen Mythos, rationalisiert als goldenes Zeitalter. Dieses Sein aber war ein buntes Gewimmel von Aufstieg, Niedergang, Glück und Unglück, ein blindes Ungefähr, eine ewige Veränderung, aber in allem

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