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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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jede Ursache ausschließt mit Ausnahme der einen, daß es Sünde ist, auch nur zu fragen, warum ein Mensch leidet, ist in einer der gewaltigsten Dichtungen der Weltgeschichte zum Ausdruck gekommen, die mitten in der arabischen Vorzeit entstanden ist und an innerer Größe in dieser ganzen Kultur nicht ihresgleichen hat: das Buch Hiob. [Seine Entstehungszeit entspricht der Karolingerzeit. Ob damals im Abendlande eine Dichtung von gleichem Range wirklich entstanden ist, wissen wir nicht. Daß es möglich war, beweisen Schöpfungen wie die Völuspa, Muspilli, der Heliand und die Gedankenwelt des Johannes Scotus.] Es sind die Freunde Hiobs, die nach einer Schuld suchen, denn der letzte Sinn alles Leidens in dieser Welthöhle ist ihnen – wie den meisten Menschen dieser und jeder anderen Kultur und also auch den heutigen Lesern und Beurteilern dieses Werkes – aus Mangel an metaphysischer Tiefe unzugänglich. Nur der Held selbst ringt sich zur Vollendung durch, zum reinen
islam
, und er wird damit zu der einzig möglichen tragischen Gestalt, die magisches Fühlen neben den Faust stellen kann. [Der Hinweis auf den Islam ist längst geschehen, so Bertholet, Kulturgesch. Israels, S. 242.]
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    Das Wachsein jeder Kultur gestattet zwei Wege des Innewerdens, je nachdem das schauende Empfinden das kritische Verstehen durchdringt oder umgekehrt. Das magische Schauen ist bei Spinoza als
amor intellectualis
bezeichnet, bei den gleichzeitigen Sufisten Mittelasiens als
mahw
(Auslöschen in Gott). Es kann sich bis zur magischen Ekstase steigern, die Plotin mehrmals und seinem Schüler Porphyrios im hohen Alter einmal zuteil geworden ist. Die andere Seite, die rabbinische Dialektik, erscheint bei Spinoza als geometrische Methode und in der arabisch-jüdischen Spätphilosophie überhaupt als Kalaam. Beides aber beruht auf der Tatsache, daß es ein magisches Einzel-Ich nicht gibt, sondern ein einziges, in allen Erwählten zugleich vorhandenes Pneuma, das zugleich Wahrheit ist. Es kann nicht oft genug betont werden, daß der hieraus folgende Grundbegriff des
idjma
mehr ist als Begriff, daß er ein Erlebnis von erschütternder Gewalt werden kann und daß alle Gemeinschaft magischen Stils auf ihm beruht und damit von der aller anderen Kulturen abgehoben ist. »Die mystische Gemeinde des Islam erstreckt sich vom Diesseits in das Jenseits; sie reicht über das Grab hinaus, indem sie die verstorbenen Muslime früherer Generationen, ja sogar die vorislamischen Gerechten umfaßt. Mit ihnen allen fühlt sich der Muslim zu einer Einheit verbunden. Sie helfen ihm und auch er kann ihre Seligkeit noch durch Zuwendung eigener Verdienste steigern.« [Horten a. a. O., S. XII.] Ganz dasselbe haben sowohl die Christen wie die Synkretisten der Pseudomorphose mit den Worten
polis
und
civitas
bezeichnet, die einst eine Summe von Körpern bedeuteten und jetzt einen
consensus
der Zugehörigen. Am berühmtesten ist Augustins
civitas dei
, die weder ein antiker Staat ist noch eine abendländische Kirche, sondern genau wie die Mithrasgemeinde, der Islam, der Manichäismus und das Persertum eine Ganzheit von Gläubigen, Seligen und Engeln. Da die Gemeinschaft auf dem
consensus
beruht, so ist sie in geistigen Dingen unfehlbar. »Mein Volk kann niemals in einem Irrtum übereinstimmen« hat Mohammed gesagt, und genau dasselbe setzt Augustin in seinem Gottesstaat voraus. Von einem unfehlbaren päpstlichen Ich oder irgendeiner andern Instanz zur Feststellung dogmatischer Wahrheiten ist bei ihm keine Rede und kann es nicht sein: das würde den magischen Begriff des
consensus
völlig zerstören. Das gilt in dieser Kultur allgemein und nicht nur vom Dogma, sondern auch vom Recht [Vgl. Bd. II, S. 634 f.] und vom Staate überhaupt: Die islamische Gemeinschaft umfaßt wie die des Porphyrios und Augustin die
ganze
Welthöhle, das Diesseits wie das Jenseits, die Rechtgläubigen wie die guten Engel und Geister, und in dieser Gemeinschaft bildet der Staat nur
eine kleinere Einheit der sichtbaren Seite
, deren Wirksamkeit also durch das Ganze geregelt wird. Eine Trennung von Politik und Religion ist also in der magischen Welt theoretisch unmöglich und widersinnig, während der Kampf zwischen Staat und Kirche auch der Idee nach in der faustischen Kultur notwendig und ohne Ende ist. Weltliches und geistliches Recht sind schlechthin dasselbe. Neben dem Kaiser von Byzanz steht der Patriarch, neben dem Schah der Zarathustrotema, neben dem Resch galuta der Gaon, neben dem Kalifen der

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