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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Scheich ül Islam, Vorgesetzter zugleich und Untergebener. Mit dem gotischen Verhältnis von Kaiser und Papst hat das nicht die leiseste Verwandtschaft, und auch der Antike war jeder Gedanke daran fremd. In der Schöpfung Diokletians ist zum erstenmal diese magische Einbettung des Staates in die Gemeinschaft der Gläubigen Wirklichkeit geworden, und Konstantin hat sie ganz durchgeführt. Es war schon gezeigt worden, daß Staat, Kirche und Nation eine geistige Einheit bilden, eben den in der lebenden Menschheit sichtbar hervortretenden Teil des rechtgläubigen
consensus
. Es war deshalb für die Kaiser eine selbstverständliche Pflicht, als Beherrscher der Gläubigen – das ist der Teil der magischen Gemeinschaft, den Gott ihnen anvertraut hat – die Konzile zu leiten, um den
consensus
der Berufenen herbeizuführen.
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    Außer ihm gibt es aber noch ein anderes Offenbarwerden der Wahrheit, das »Wort Gottes« in einem ganz bestimmten rein magischen Sinne, der dem antiken und abendländischen Denken gleich fern liegt und deshalb die Quelle unzähliger Mißverständnisse geworden ist. Das heilige Buch, in dem es sichtbar in Erscheinung getreten, in das es mittels einer heiligen Schrift gebannt worden ist, gehört zum Bestande jeder magischen Religion. [Es bedarf kaum der Erwähnung, daß die Bibel in allen Religionen des germanischen Abendlandes in einem ganz anderen Verhältnis zum Glauben steht, nämlich in dem einer
Urkunde
im streng historischen Sinne, gleichviel ob man sie als inspiriert und deshalb jenseits aller Textkritik stehend betrachtet oder nicht. Ähnlich ist das Verhältnis des chinesischen Denkens zu den kanonischen Büchern.] In diese Vorstellung sind drei magische Begriffe verwoben, von denen jeder einzelne uns die größten Schwierigkeiten bereitet, während ihr Getrenntsein und gleichzeitiges Einssein unserem religiösen Verständnis unzugänglich bleibt, so gern man sich immer wieder darüber getäuscht hat:
Gott, der Geist Gottes, das Wort Gottes
. Was im Prolog des
Johannesevangeliums
angedeutet ist: Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort, das ist lange vorher in den persischen Vorstellungen von
spenta mainyu
– dem heiligen Geist, der von Ahura mazda verschieden und doch mit ihm eins ist, im Gegensatz zum bösen Geiste (
angra mainyu
) – und von Vohu mano [Von Mani mit dem johanneischen Logos gleichgesetzt. Vgl. auch Jascht 13, 31: Ahura mazdas lichtschimmernde Seele ist das Wort.] und den entsprechenden jüdischen und chaldäischen Begriffen wie etwas ganz Natürliches zum Ausdruck gekommen und bildet den Kernpunkt in den Streitigkeiten des vierten und fünften Jahrhunderts um die Substanz Christi. Aber ebenso ist die »Wahrheit« für das magische Denken
eine Substanz
, [So wird
aletheia
(Wahrheit) überall im Johannesevangelium und drug (Lüge) für Ahriman in der persischen Kosmologie gebraucht. Ahriman erscheint oft wie ein Diener der Drug.] und Lüge oder Irrtum die zweite. Es ist derselbe wesenhafte Dualismus wie in dem Widerstreit von Licht und Finsternis, Leben und Tod, Gut und Böse. Als Substanz ist die Wahrheit bald mit Gott, bald mit dem Geiste Gottes, bald mit dem Wort identisch. Nur so kann man die ganz substanziell gemeinten Ausdrücke verstehen: »Ich bin die Wahrheit und das Leben« und »Mein Wort ist die Wahrheit«. Nur so begreift man auch, mit welchen Augen der religiöse Mensch dieser Kultur das heilige Buch betrachtete: in ihm ist die unsichtbare Wahrheit in eine sichtbare Seinsart eingegangen, ganz ähnlich der Stelle Ev. Joh. 1,14: »Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.« Nach dem Jasna ist das Awesta vom Himmel herabgesandt worden und im Talmud heißt es, daß Moses die Tora Band für Band von Gott empfangen habe. Eine magische Offenbarung ist ein mystischer Vorgang, in welchem das ewige und unerschaffene Wort der Gottheit – oder
die Gottheit als Wort
– in einen Menschen eingeht, um durch ihn die »offenbare«, sinnliche Gestalt von Lauten und vor allem von Buchstaben zu erhalten.
Koran bedeutet »Lesung«
. Mohammed hat in einer Vision im Himmel verwahrte Schriftrollen erblickt, die er »im Namen des Herrn« – obwohl er nicht lesen gelernt hat – entziffern konnte. [Sure 96, vgl. 80, 11 und 85, 21, wo es in einer anderen Vision heißt »Dies ist ein herrlicher Koran auf einer verwahrten Tafel«. Das Beste hierüber hat Ed. Meyer gesagt, Geschichte der Mormonen, S. 70 ff.] Das ist eine Form der Offenbarung, die in

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