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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Zweifel, der Verzweiflung werden kann. Er braucht in seinem geistigen Tiefendrang den Glauben an ein
letztes
Etwas, das sich denkend erreichen, ein Ende des Zertrennens, das keinen Rest von Geheimnis mehr übrig läßt. Die Winkel und Abgründe seiner geschauten Welt müssen sämtlich durchleuchtet sein – nichts anderes kann ihn erlösen.
    Hier geht der Glaube über in das aus dem Mißtrauen erwachsene
»Wissen«
oder, was wahrer ist, in den Glauben an ein solches Wissen. Denn diese Form des Verstehens ist durchaus abhängig von jener, später, künstlicher und fragwürdiger. Es kommt hinzu, daß die religiöse Theorie – das gläubige Schauen – zu einer priesterlichen Praxis
führt
, die wissenschaftliche Theorie aber sich umgekehrt durch jene aus der Praxis, dem technischen Wissen des alltäglichen Lebens
ablöst
. [Vgl. Bd. II, S. 580f.] Der feste Glaube, der sich aus Erleuchtungen, Offenbarungen, plötzlichen Tiefblicken ergibt, kann kritischer Arbeit entbehren. Das kritische Wissen aber setzt den Glauben voraus, daß seine Methoden genau zu dem führen, was man sucht, nicht zu neuen Bildern, sondern zu »Wirklichem«. Aber die Geschichte lehrt, daß der Zweifel am Glauben zum Wissen führt und der Zweifel am Wissen nach einer Zeit des kritischen Optimismus wieder zurück zum Glauben. Je mehr das theoretische Wissen sich vom gläubigen Hinnehmen befreit, desto näher kommt es der Selbstaufhebung. Was übrig bleibt, ist einzig und allein die
technische
Erfahrung.
    Der ursprüngliche, dunkle Glaube erkennt überlegene Quellen der Wahrheit an, durch welche Dinge, die eigenes Grübeln nie enträtseln würde, offenbar, also gewissermaßen aufgeschlossen werden: prophetische Worte, Träume, Orakel, heilige Schriften, die Stimme der Gottheit. Der kritische Geist dagegen will, und er glaubt dessen fähig zu sein, alle Einsichten nur sich selbst verdanken. Er mißtraut fremden Wahrheiten nicht nur, er verneint sogar ihre Möglichkeit. Wahrheit ist für ihn nur selbstbewiesenes Wissen. Die reine Kritik schöpft ihre Mittel allein aus sich, aber es ist bald bemerkt worden, daß eben damit das Wesentliche des Ergebnisses schon vorausgesetzt wird. Das
de omnibus dubitandum
ist ein Vorsatz, der sich gar nicht verwirklichen läßt. Man vergißt, daß kritische Tätigkeit auf einer Methode beruhen muß, die nur scheinbar ebenfalls auf kritischem Wege gefunden werden kann; in Wirklichkeit folgt sie aus der jeweiligen Anlage des Denkens, [Und da ist primitives und kultiviertes, dann chinesisches, indisches, antikes, magisches, abendländisches, endlich sogar deutsches, englisches und französisches Denken anders angelegt, und endlich gibt es überhaupt nicht zwei Menschen mit genau der gleichen Methode.] so daß also das Ergebnis der Kritik durch die zugrunde liegende Methode bestimmt wird, diese selbst aber durch den Daseinsstrom, der das Wachsein trägt und durchläuft. Der Glaube an ein voraussetzungsloses Wissen kennzeichnet nur die ungeheure Naivität rationalistischer Zeitalter. Eine naturwissenschaftliche Theorie ist nichts als ein geschichtlich voraufgegangenes Dogma in anderer Form. Den Vorteil davon hat allein das Leben in Gestalt einer erfolgreichen Technik, zu welcher die Theorie den Schlüssel gibt. Es war schon gesagt worden, daß über den Wert einer Arbeitshypothese nicht die »Richtigkeit«, sondern die Brauchbarkeit entscheidet, aber Einsichten von anderer Art, Wahrheiten im optimistischen Sinne, können überhaupt nicht das Ergebnis rein wissenschaftlichen Verstehens sein, das stets schon eine Ansicht voraussetzt, an der es sich kritisch,
zerlegend
, betätigen kann: die Naturwissenschaft des Barock ist eine fortschreitende Zerlegung des religiösen Weltbildes der Gotik.
    Was Glaube und Wissen, Furcht und Neugier erzielen, ist nicht Lebenserfahrung, sondern Erkenntnis der Welt als Natur. Die Welt als Geschichte wird durch beides ausdrücklich verneint. Das Geheimnis des Wachseins ist aber ein doppeltes: zwei angstgeschaffene, kausal geordnete Bilder entstehen für das innere Auge: die »Außenwelt« und als ihr Gegenbild die »Innenwelt«. In beiden liegen echte Probleme; das Wachsein ist durchaus in seinem eignen Reiche tätig. Das Numen heißt dort Gott, hier Seele. Das kritische Verstehen denkt die Gottheiten des gläubigen Schauens im Verhältnis zu ihrer Welt in mechanische Größen um, ohne doch den Wesenskern zu verändern: Stoff und Form, Licht und Finsternis, Kraft und Masse; und es zergliedert das

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