Der Untergang des Abendlandes
eine Art von physikalischem Monotheismus heraufgeführt hat. Es sind die Begriffe, welche den Formeln unterlegt werden, um ihnen mythische Anschaulichkeit zu verleihen. Die Zahlen selbst sind Technik, Hebel und Schrauben, abgelauschtes Weltgeheimnis. Das antike und jedes andre Naturdenken brauchte keine Zahlen, weil es keine Macht erstrebte. Die
reine
Mathematik des Pythagoras und Plato steht zu den Naturansichten des Demokrit und Aristoteles in gar keiner Beziehung.
Wie in der Antike Prometheus´ Trotz gegen die Götter als Hybris, so ist vom Barock die Maschine als teuflisch empfunden worden. Der Höllengeist hatte dem Menschen das Geheimnis verraten, sich des Weltmechanismus zu bemächtigen und selbst den Gott zu spielen. Deshalb herrscht bei allen rein priesterlichen Naturen, die ganz im Reiche des Geistes leben und nichts von »dieser Welt« erwarten, vor allem bei den idealistischen Philosophen, den Klassizisten, den Humanisten, bei Kant, selbst bei Nietzsche, ein feindseliges Schweigen über die Technik.
Jede späte Philosophie enthält den kritischen Protest gegen das unkritische Schauen der Frühzeit. Aber diese Kritik eines seiner Überlegenheit sicheren Geistes trifft auch den Glauben selbst und ruft die einzige große Schöpfung im Religiösen hervor, die Eigentum der Spätzeit ist und zwar jeder: den Puritanismus.
Er erscheint im Heere Cromwells und seiner eisernen, bibelfesten, psalmensingend in die Schlacht ziehenden Independenten, im Kreise der Pythagoräer, die im bittren Ernst ihrer Pflichtenlehre das fröhliche Sybaris zerstörten und ihm für immer den Makel einer sittenlosen Stadt anhängten, im Heere der ersten Kalifen, das nicht nur Staaten, sondern auch die Seelen unterwarf. Miltons Verlorenes Paradies, manche Suren des Koran, das wenige, was sich über pythagoräische Lehren feststellen läßt – das ist alles eins: Begeisterung eines nüchternen Geistes, kalte Glut, trockne Mystik, pedantische Ekstase. Aber noch einmal lodert doch eine wilde Frömmigkeit darin auf. Was die zur unbedingten Herrschaft über die Seele des Landes gelangte große Stadt an transzendenter Inbrunst aufbringen kann, das ist hier gesammelt, wie mit der Angst, daß es künstlich und vorübergehend ist, und deshalb ungeduldig, ohne Verzeihung, ohne Barmherzigkeit. Dem Puritanismus nicht nur des Abendlandes sondern aller Kulturen fehlt das Lächeln, das die Religion aller Frühzeiten verklärt hatte, die Augenblicke tiefer Lebensfreude, der Humor. Nichts von der stillen Glückseligkeit, die in magischer Frühzeit in den Kindheitsgeschichten Jesu oder bei Gregor von Nazianz so oft aufleuchtet, findet sich in den Suren des Koran, nichts von der versonnenen Heiterkeit der Gesänge des heiligen Franz bei Milton. Ein tödlicher Ernst ruht über den jansenistischen Geistern von Port Royal und den Versammlungen der schwarzgekleideten Rundköpfe, die das
old merry England
Shakespeares,
auch
ein Sybaris, in wenigen Jahren vernichtet haben. Der Kampf gegen den Teufel, dessen leibhafte Nähe sie alle fühlten, wurde erst jetzt mit einer finstren Erbitterung geführt. Im 17. Jahrhundert sind mehr als eine Million Hexen verbrannt worden und nicht nur im protestantischen Norden und katholischen Süden, sondern auch in Amerika und Indien. Freudlos und gallig ist die Pflichtenlehre des Islam
(fikh)
mit ihrer harten Verständigkeit so gut wie die des Westminsterkatechismus (1643) und die Ethik der Jansenisten (Jansens »Augustinus« 1640) denn auch im Reiche Loyolas gab es mit innerer Notwendigkeit eine puritanische Bewegung. Religion ist erlebte Metaphysik, aber sowohl die Gemeinschaft der Heiligen, wie die Independenten sich nannten, als die Pythagoräer, als die Umgebung Mohammeds erlebten sie nicht mit den Sinnen, sondern zuerst als Begriff. Parshva, der um 600 v. Chr. am Ganges die Sekte der »Entfesselten« gründete, lehrte wie die andern Puritaner seiner Zeit, daß nicht Opfer und Riten, sondern allein die Erkenntnis der Identität von
atman
und
brahman
zur Erlösung führe. Ein zügelloser und doch trockener allegorischer Geist ist in aller puritanischen Dichtung an die Stelle gotischer Visionen getreten. Der Begriff ist die wahre und einzige Macht im Wachsein dieser Asketen. Um Begriffe und nicht wie Meister Eckart um Gestalten ringt Pascal. Man verbrennt Hexen, weil sie bewiesen sind, und nicht, weil man sie nachts in den Lüften sieht; die protestantischen Juristen wenden den Hexenhammer der Dominikaner an, weil er auf
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