Der Untergang des Abendlandes
Begriffen errichtet ist. Die Madonnen der frühen Gotik waren den Betenden erschienen, die Madonnen Berninis hat niemand gesehen. Sie sind vorhanden, weil sie bewiesen sind, und man begeistert sich für diese Art von Existenz. Cromwells großer Staatssekretär Milton verkleidet Begriffe in Gestalten und Bunyan hat einen ganzen Begriffsmythos in eine ethisch-allegorische Handlung gebracht. Ein Schritt weiter und man steht vor Kant, aus dessen Begriffsethik zuletzt der Teufel als Begriff in Gestalt des Radikal-Bösen herauswuchs.
Man muß sich vom Oberflächenbilde der Geschichte befreien und ganz über die künstlichen Grenzen hinwegsetzen können, welche die Methodik abendländischer Einzelwissenschaften gezogen hat, um zu sehen, daß Pythagoras, Mohammed und Cromwell in drei Kulturen ein und dieselbe Bewegung verkörpern.
Pythagoras war kein Philosoph. Nach allen Aussagen der vorsokratischen Denker war er ein Heiliger, Prophet und Stifter eines fanatisch-religiösen Bundes, der seine Wahrheiten mit allen politischen und militärischen Mitteln der Umgebung aufzwang. In der Zerstörung von Sybaris durch Kroton, die sicherlich nur als Höhepunkt eines wilden Religionskrieges in der geschichtlichen Erinnerung haften blieb, entlud sich derselbe Haß, der auch in Karl I. von England und seinen fröhlichen Kavalieren nicht nur eine Irrlehre, sondern auch die weltliche Gesinnung ausrotten wollte. Ein gereinigter und begrifflich befestigter Mythos mit einer rigorosen Sittenlehre verlieh den Auserwählten des Pythagoräerbundes die Überzeugung, vor allen andern zum Heil zu gelangen. Die in Thurioi und Petelia gefundenen Goldtäfelchen, welche den Leichen der Geweihten in die Hand gegeben wurden, enthielten die Versicherung des Gottes: Seliger und Gebenedeiter, du wirst nicht mehr ein Sterblicher, sondern ein Gott sein. Es ist dieselbe Überzeugung, die der Koran all denen verlieh, die im heiligen Kriege gegen die Ungläubigen fochten – »das Mönchtum des Islam ist der Religionskrieg« lautet ein Hadith des Propheten – und mit welcher Cromwells ›Eisenseiten‹ die »Philister und Amalekiter« des königlichen Heeres bei Marston Moor und Naseby zersprengten.
Der Islam ist so wenig eine Wüstenreligion wie der Glaube Zwinglis eine Religion des Hochgebirges. Es ist ein Zufall, daß die puritanische Bewegung, für welche die magische Welt reif geworden war, von einem Manne aus Mekka und weder von einem Monophysiten noch Juden ausging. Denn im nördlichen Arabien lagen die christlichen Staaten der Ghassaniden und Lachmiden, und im sabäischen Süden wurden christlich-jüdische Religionskriege geführt, an denen die Staatenwelt von Axum bis zum Sassanidenreich beteiligt war. Auf dem Fürstenkongreß von Marib [542 n. Chr., vgl. Bd. II, S. 795.] wird kaum ein Heide erschienen sein, und bald darauf kam Südarabien unter persische, also mazdaische Verwaltung. Mekka war eine kleine Insel altarabischen Heidentums mitten in einer Welt von Juden und Christen, ein kleiner Rest, der längst von den Gedanken der großen magischen Religionen durchsetzt war. Das wenige, was von diesem Heidentum in den Koran eindrang, ist durch den Kommentar der Sunna und ihren syrisch-mesopotamischen Geist später forterklärt worden. Der Islam ist eine neue Religion fast nur in dem Sinne, wie das Luthertum eine solche war. In Wirklichkeit setzt er die großen Frühreligionen fort. Und ebensowenig ist seine Ausbreitung, wie immer noch geglaubt wird, eine Völkerwanderung, die von der arabischen Halbinsel ausgeht, sondern vielmehr ein Ansturm begeisterter Bekenner, der lawinengleich die Christen, Juden und Mazdaisten mit sich reißt und als fanatische Moslime alsbald an der Spitze führt. Es waren Berber aus der Heimat Augustins, die Spanien eroberten, und Perser aus dem Irak, die zum Oxus vordrangen. Die Feinde von gestern wurden die Vorkämpfer von morgen. Die meisten »Araber«, die 717 zum ersten Male Byzanz angriffen, sind als Christen geboren worden. Um 650 erlischt mit einem Schlage die byzantinische Literatur , [Krumbacher, Byzant. Literaturgesch., S. 12.] ohne daß der tiefere Sinn davon bis jetzt bemerkt worden wäre: diese Literatur setzt sich in der arabischen fort; die Seele der magischen Kultur fand endlich im Islam ihren wahren Ausdruck. Damit ist diese Kultur wirklich »arabisch« und endgültig von der Pseudomorphose erlöst worden. Der vom Islam geführte, von Monophysiten und Juden längst vorbereitete Bildersturm fährt auch über
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