Der Untergang des Abendlandes
gegenwärtigen Stand, das euklidische Jetzt und Hier gestellt, ebenso wie die als Summe gegenwärtig vorhandener Körper aufgefaßte Polis. Blutsverwandtschaft ist also für sie weder notwendig noch ausreichend; sie hört auf mit der Grenze der
patria potestas
, des »Hauses«. Die Mutter ist an sich mit ihren leiblichen Kindern agnatisch
nicht
verwandt; nur insofern sie der
patria potestas
des lebenden Gatten untersteht, ist sie die agnatische Schwester ihrer Kinder. [Sohm, Institutionen (1911), S. 614.] Dem
consensus
dagegen entspricht die magische Kognatenfamilie (hebräisch Mischpacha), die durch väterliche
und
mütterliche Blutsgemeinschaft weithin dargestellt und einen »Geist« besitzt, einen
consensus
im Kleinen, aber kein bestimmtes Oberhaupt. [Auf diesem Prinzip beruht der Dynastiebegriff der arabischen Welt (der Ommaijaden, Komnenen, Sassaniden), der uns schwer begreiflich ist. Wenn ein Usurpator den Thron erobert hat, so vermählt er sich mit irgend einem weiblichen Mitgliede aus der Blutsgemeinschaft und setzt so die Dynastie fort. Von einer gesetzlichen Erbfolge ist der Idee nach nicht die Rede. Vgl. auch J. Wellhausen, Ein Gemeinwesen ohne Obrigkeit (1900).] Es ist für das Erlöschen der antiken und die Entfaltung der magischen Seele bezeichnend, daß das »römische« Recht der Kaiserzeit von der Agnation allmählich zur Kognation übergeht. Noch einige Novellen Justinians (118, 127) schaffen eine Neuregelung des Erbrechts infolge des Sieges der magischen Familienidee.
Auf der andern Seite erblicken wir Massen von Einzelwesen, die werdend und vergehend, aber Geschichte
machend
dahinströmen. Je reiner, tiefer, stärker, selbstverständlicher der gemeinsame Takt dieser Geschlechterfolgen, desto mehr »Blut«, desto mehr Rasse haben sie. Aus der Unendlichkeit aller heben sich beseelte Einheiten ab, [Vgl. Bd. II, S. 577.] Scharen, die sich im gleichen Wellenschlag des Daseins als Ganzes fühlen, nicht geistige Gemeinschaften wie Orden, Künstlergilden und Gelehrtenschulen, die durch gleiche Wahrheiten verbunden sind, sondern Blutverbände mitten im kämpfenden Leben.
Es sind Daseinsströme
»in Form«
, um einen Sportausdruck zu gebrauchen, der in die Tiefe dringt. In Form ist ein Feld von Rennpferden, das sicher in den Gelenken mit feinem Schwung über die Hürde geht und sich dann wieder im gleichen Takt der Hufe über die Ebene bewegt. In Form sind Ringer, Fechter und Ballspieler, denen das Gewagteste leicht und selbstverständlich von der Hand geht. In Form ist eine Kunstepoche, für welche die Tradition Natur ist wie der Kontrapunkt für Bach. In Form ist eine Armee, wie sie Napoleon bei Austerlitz und Moltke bei Sedan hatten. So gut wie alles, was in der Weltgeschichte geleistet worden ist, im Krieg und in jener Fortsetzung des Krieges durch geistige Mittel, die wir Politik nennen, alle erfolgreiche Diplomatie, Taktik, Strategie, sei es die von Staaten, Ständen oder Parteien, rührt von lebendigen Einheiten her, die sich in Form befanden.
Das Wort für die rassemäßige Art von Erziehung ist
Zucht, Züchtung
, im Unterschied von Bildung, die durch die Gleichheit des Gelernten oder Geglaubten Wachseinsgemeinschaften begründet. Zur Bildung gehören Bücher, zur Zucht gehört der stetige Takt und Einklang der Umgebung, in die man sich hineinfühlt, hinein
lebt
: Klostererziehung und Pagenerziehung der frühen Gotik. Alle guten Formen einer Gesellschaft, jedes Zeremoniell ist versinnlichter Takt einer Art von Dasein. Um sie zu beherrschen, muß man Takt
haben
. Deshalb gewöhnen sich Frauen, weil sie triebhafter und dem Kosmischen näher sind, schneller an die Formen einer neuen Umgebung. Frauen aus der Tiefe bewegen sich nach ein paar Jahren mit voller Sicherheit in einer vornehmen Welt, aber sie sinken ebenso schnell wieder herab. Der Mann ändert sich schwerer, weil er wacher ist. Der Proletarier wird nie ganz Aristokrat, der Aristokrat nie ganz Proletarier. Erst die Söhne haben den Takt der neuen Umgebung.
Je tiefer die Form, desto strenger und abweisender ist sie. Dem nicht Zugehörigen erscheint sie als Sklaverei; der Zugehörige beherrscht sie mit vollkommener Freiheit und Leichtigkeit. Der Fürst von Ligne war ebenso wie Mozart Herr, nicht Sklave der Form; und das gilt von
jedem
geborenen Aristokraten, Staatsmann und Heerführer.
Deshalb gibt es in allen hohen Kulturen ein
Bauerntum
, das Rasse überhaupt und also gewissermaßen Natur ist, und eine
Gesellschaft
, die in
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