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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Ausschlag geben konnte.
    Aber mit diesem Gleichgewicht von Senat und Tribunat stand Rom in der Antike ganz allein. Überall sonst gab es nicht ein Mehr oder Weniger, sondern ein Entweder-Oder, nämlich zwischen Oligarchie und Ochlokratie. Die absolute Polis und die mit ihr identische Nation waren gegeben, aber von inneren Formen stand nichts fest. Der Sieg einer Partei führte zur Beseitigung auch aller Institutionen der andern, und man gewöhnte sich daran, nichts für so ehrwürdig oder zweckmäßig zu halten, daß es über dem Kampf des Tages stünde. Sparta war, wenn man so sagen darf, in senatorischer, Athen in tribunizischer Form, und die Alternative war zu Beginn des Peloponnesischen Krieges (431) derart zur festen Meinung geworden, daß es andre als radikale Lösungen nicht mehr gab.
    Damit war die Zukunft Roms gesichert. Es war der einzige Staat, in dem die politische Leidenschaft sich gegen Personen, nicht mehr gegen Institutionen richtete, der einzige, welcher fest in Form war–
senatus populusque Romanus, das heißt Senat und Tribunat
, ist die eherne Form, die keine Partei mehr angreift – während alle andern durch die Grenzen ihrer Machtentfaltung innerhalb der antiken Staatenwelt aufs neue beweisen, daß Innenpolitik lediglich da ist, um Außenpolitik möglich zu machen.
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    An diesem Punkte, wo die Kultur im Begriff ist, Zivilisation zu werden, greift der Nichtstand entscheidend in die Ereignisse ein und zwar zum ersten Male als selbständige Macht. Unter der Tyrannis und Fronde hatte der Staat ihn gegen die eigentlichen Stände zu Hilfe gerufen, und er hatte sich erst damit als Macht fühlen gelernt. Jetzt verwendet er diese Macht
für sich
und zwar als Stand der Freiheit gegen den Rest, und er sieht im absoluten Staate, in der Krone, in den starken Institutionen die natürlichen Verbündeten der Urstände und die eigentlichen und letzten Vertreter der sinnbildlichen Tradition. Das ist der Unterschied zwischen erster und zweiter Tyrannis, zwischen Fronde und bürgerlicher Revolution, zwischen Cromwell und Robespierre.
    Der Staat mit seinen großen Forderungen an jeden einzelnen wird von der städtischen Vernunft als Last empfunden, genau wie man eben jetzt die großen Formen der Barockkünste als Last zu empfinden beginnt und klassisch oder romantisch, das heißt schwächlich in der Form oder formlos wird; die deutsche Literatur seit 1770 ist eine einzige Revolution starker Einzelpersönlichkeiten gegen die strenge Poesie; das »in Form sein für etwas« der ganzen Nation wirkt unerträglich, weil es der Einzelne innerlich selbst nicht mehr ist. Das gilt von der Sitte, das gilt in den Künsten und im Gedankenbau, das gilt vor allem in der Politik. Das Kennzeichen jeder bürgerlichen Revolution, als deren Ort ausschließlich die große Stadt erscheint, ist der Mangel an Verständnis für die alten Symbole, an deren Platz jetzt handgreifliche Interessen treten, und sei es auch nur der Wunsch begeisterter Denker und Weltverbesserer, ihre Begriffe verwirklicht zu sehen. Wert hat nur noch, was sich vor der Vernunft rechtfertigen läßt; aber ohne die Höhe einer Form, die durch und durch symbolisch und eben deshalb in metaphysischer Weise wirksam ist, verliert das nationale Leben die Kraft, sich inmitten der geschichtlichen Daseinsströme zu behaupten. Man verfolge die verzweifelten Versuche der französischen Regierung, das Land in Form zu halten, die unter dem beschränkten Ludwig XVI. von einer ganz kleinen Zahl fälliger und vorausblickender Männer unternommen wurden, nachdem die äußere Lage sich durch den Tod von Vergennes sehr ernst gestaltet hatte (1787). Mit dem Tode dieses Diplomaten scheidet Frankreich auf Jahre aus den politischen Kombinationen Europas aus; gleichzeitig bleibt die großartige Reform, welche die Krone trotz aller Widerstände durchgeführt hatte, vor allem die allgemeine Verwaltungsreform dieses Jahres auf der Grundlage freiester Selbstverwaltung, vollkommen unwirksam, weil für die Stände angesichts der Nachgiebigkeit des Staates plötzlich die Machtfrage in den Vordergrund rückte. [A. Wahl, Vorgeschichte der französischen Revolution Bd. II (1907), die einzige Darstellung von weltgeschichtlichen Gesichtspunkten. Alle Franzosen, auch die modernsten wie Aulard und Sorel, sehen die Dinge von irgendeinem Parteistandpunkt aus an. Es ist materialistischer Unsinn von wirtschaftlichen Ursachen dieser Revolution zu reden. Die Lage war selbst unter den Bauern – von denen die

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