Der Untergang des Abendlandes
sie steht unter dem Eindruck des Geschmacks, in dem sie erfunden sind, und verwechselt ihn mit den Zeitumständen, um so mehr, als griechische und römische Geschichte wie zwei getrennte Welten behandelt werden und man nach schlechter Gewohnheit den Anfang der Geschichte mit dem Anfang der gesicherten Kunde von ihr gleichsetzt. Aber die Zustände von 500 v. Chr. sind nichts weniger als homerisch. Rom war unter den Tarquiniern, wie der Umfang der Mauern beweist, neben Capua die größte Stadt Italiens und größer als das themistokleische Athen. [Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. V, § 809. Wenn das Latein erst ganz spät, nach Alexander dem Großen, Literatursprache wird, so folgt daraus nur, daß unter den Tarquiniern der Gebrauch des Griechischen und Etruskischen allgemein üblich war, was sich für eine Stadt von dieser Größe und Lage, die mit Karthago in Beziehungen steht, mit Kyme gemeinsam Krieg führt und das Schatzhaus von Massalia in Delphi benützt, deren Maß- und Gewichtsordnung dorisch, deren Kriegswesen sizilisch ist, und in der es eine große Fremdenkolonie gab, von selbst versteht. Livius (IX, 36) bemerkt nach alten Angaben, daß gegen 300 noch die römischen Knaben ebenso in etruskischer Bildung erzogen wurden, wie später in griechischer. Die uralte Form Ulixes für Odysseus beweist, daß die homerische Heldensage hier nicht nur bekannt, sondern volkstümlich war (vgl. Bd. II, S. 909). Die Sätze des Zwölftafelrechts (um 450) stimmen mit den etwa gleichaltrigen des Rechts von Gortyn auf Kreta nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch so genau überein, daß den römischen Patriziern, welche sich damit befaßten, das Juristengriechisch ganz geläufig gewesen sein muß.] Eine Stadt, mit der Karthago Handelsverträge schließt, ist keine Bauerngemeinde. Aber daraus folgt, daß die Bevölkerung der vier städtischen Tribus von 471 sehr stark und vielleicht größer gewesen ist als die der sechzehn räumlich unbedeutenden Landtribus zusammen.
Der große Erfolg des Grundadels, der im Sturz der sicherlich sehr volkstümlichen Tyrannis und in der Aufrichtung einer unumschränkten Senatsherrschaft lag, ist durch eine Gruppe gewaltsamer Ereignisse um 471 wieder vernichtet worden: den Ersatz der Geschlechtertribus durch die vier großen Stadtbezirke, deren Vertretung durch Tribunen, die sakrosankt sind, also ein Königsrecht besitzen, das keinem einzigen der adligen Verwaltungsämter zukommt, endlich die Befreiung der kleinen Bauernschaft aus der Klientel des Adels.
Das Tribunat ist die glücklichste Schöpfung dieser Zeit und damit der antiken Polis überhaupt. Es ist
die Tyrannis zum integrierenden Bestandteil der Verfassung erhoben
und zwar
neben
den oligarchischen Ämtern, die sämtlich fortbestehen. Aber damit ist auch die soziale Revolution in
gesetzmäßige Formen
geleitet, und während sie sich überall sonst in wilden Stößen entlud, ist sie hier zu einem Kampf auf dem Forum geworden, der sich im allgemeinen in den Grenzen von Redestreit und Abstimmung hielt. Man brauchte keinen Tyrannen auszurufen, denn er war da. Der Tribun besitzt Hoheitsrechte, kein Amtsrecht, und er konnte vermöge seiner Unverletzlichkeit revolutionäre Akte vollziehen, die in jeder andern Polis ohne Straßenkämpfe nicht denkbar waren. Diese Schöpfung ist ein Zufall, aber kein anderer hat den Aufstieg Roms in gleichem Grade unterstützt. Hier allein hat sich der Übergang von der ersten zur zweiten Tyrannis und die fernere Entwicklung noch über Zama hinaus ohne Katastrophen vollzogen, wenn auch nicht ohne Erschütterung. Der Tribun leitet von den Tarquiniern zu den Cäsaren hinüber. Mit der lex Hortensia von 287 wird er allmächtig:
Es ist die zweite Tyrannis in verfassungsmäßiger Form
. Im 2. Jahrhundert haben die Tribunen Konsuln und Censoren verhaften lassen. Die Gracchen waren Tribunen, Cäsar übernahm das beständige Tribunat, und im Prinzipat des Augustus ist diese Würde der wesentliche Bestandteil, der einzige, der ihm Hoheitsrechte verleiht.
Die Krise von 471 war allgemein antik und richtete sich gegen die Oligarchie, die auch jetzt noch innerhalb des von der Tyrannis geschaffenen Demos, der Gesamtheit aller Zugehörigen, den Ausschlag geben wollte. Es ist nicht mehr die Oligarchie als Stand gegenüber dem Nichtstand wie zur Zeit Hesiods, sondern als
Partei gegenüber einer zweiten
und zwar innerhalb des absoluten Staates, der schlechthin gegeben war. In Athen erfolgte 487 der Sturz der Archonten und die
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