Der Untergang des Abendlandes
sich der Schauplatz aller wirklichen Politik. Der orbis terrarum – ein sehr bezeichnender Ausdruck – ist lediglich ihr Mittel oder Objekt. Die römischen Begriffe des imperium, der diktatorischen Amtsgewalt jenseits des Stadtgrabens, die mit dem Überschreiten des pomerium sofort erlischt, und der provincia als Gegensatz zur res publica, entsprechen einem allgemein antiken Grundgefühl, das nur den Körper der Stadt als Staat und politisches Subjekt und in bezug auf ihn ein »draußen« als Objekt kennt. Dionysios hat das festungsartig ausgebaute Syrakus »mit einem Trümmerfeld von Staaten umgeben« und sein Machtgebiet von hier aus über Unteritalien und die dalmatische Küste bis in die nördliche Adria ausgedehnt, wo er Ancona und Atria an der Pomündung besaß. Den umgekehrten Plan führte Philipp von Makedonien nach dem Vorbilde seines Lehrmeisters, des 370 ermordeten Jason von Pherä, aus: den Schwerpunkt in das Randgebiet, das heißt praktisch in das Heer zu verlegen und von da aus eine Vorherrschaft über die hellenische Staatenwelt auszuüben. So wurde Makedonien bis zur Donau ausgedehnt, und nach dem Tode Alexanders traten das Seleukiden- und das Ptolemäerreich hinzu, die je von einer Polis aus – Antiochia und Alexandria – regiert wurden und zwar vermittels der vorgefundenen einheimischen Verwaltung, die immer noch besser war als irgendeine antike. Rom selbst hat gleichzeitig (etwa 326–265) sein mittelitalisches Reich wie einen Randstaat ausgebaut und nach allen Seiten durch ein System von Kolonien, Bundesgenossen und Gemeinden latinischen Rechts befestigt. Dann haben seit 237 Hamilkar Barkas für das längst in antiken Formen lebende Karthago das spanische Reich, C. Flaminius seit 225 für Rom die Po-Ebene und endlich Cäsar sein gallisches Reich erobert. Auf dieser Unterlage beruhen zuerst die napoleonischen Kämpfe der Diadochen im Osten, dann die westlichen zwischen Scipio und Hannibal, die ebenfalls beide den Schranken der Polis entwachsen waren, und endlich die cäsarischen der Triumvirn, die sich auf die Summe aller Randgebiete und ihre Mittel stützten, um »in Rom der erste zu sein«.
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In Rom hat die starke und glückliche Form des Staates, wie sie um 340 erreicht war, die soziale Revolution in verfassungsmäßigen Grenzen gehalten. Eine napoleonische Erscheinung wie der Censor von 310, Appius Claudius, Erbauer der ersten Wasserleitung und der Via Appia, der in Rom fast wie ein Tyrann herrschte, ist sehr bald mit seinem Versuch gescheitert, die Bauernschaft durch die großstädtische Masse auszuschalten und damit die Politik in eine einseitig athenische Richtung zu lenken. Denn das war der Zweck jener Aufnahme von Sklavensöhnen in den Senat, der neuen Centurienordnung nach Geld statt nach Grundbesitz [Die nach K. J. Neumann auf den großen Censor zurückgeht.] und der Verteilung der Freigelassenen und Besitzlosen über alle Tribus, wo sie die selten zur Stadt kommenden Landleute überstimmen sollten und jederzeit konnten. Schon die nächsten Censoren haben diese Leute ohne Grundbesitz wieder in die vier großen Stadttribus überschrieben. Der Nichtstand selbst, der durch eine Minderheit angesehener Geschlechter gut geführt wurde, sah das Ziel, wie schon erwähnt, nicht mehr in der Zerstörung, sondern der Eroberung des senatorischen Verwaltungsorganismus. Er hat endlich den Zugang zu allen Ämtern erzwungen, durch die lex Ogulnia von 300 sogar zu den politisch wichtigen Priestertümern der Pontifices und Auguren und durch den Aufstand von 287 die Rechtsgültigkeit der Plebiszite auch ohne Genehmigung des Senats.
Das praktische Ergebnis dieser Freiheitsbewegung war gerade das Gegenteil von dem, was Ideologen – die es in Rom nicht gab – erwartet hätten. Der große Erfolg nahm dem Protest des Nichtstandes das Ziel und damit diesem selbst, der abgesehen von der Opposition politisch ein Nichts war, die treibende Kraft. Seit 287 war die Staatsform da, um mit ihr politisch zu arbeiten, und zwar in einer Welt, in der nur noch die großen Randstaaten Rom, Karthago, Makedonien, Syrien, Ägypten ernsthaft zählten; sie hatte aufgehört, als Objekt von »Volksrechten« in Gefahr zu sein, und eben darauf beruht der Aufstieg des Volkes, das allein in Form geblieben war.
Einerseits hatte sich innerhalb der formlosen und durch die Massenaufnahme von Freigelassenen in ihren Rassetrieben längst erschütterten Plebs [Nach römischem Recht erhält der freigelassene Sklave ohne weiteres das
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