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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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»befohlen, aber nicht gehorcht, Gesetze gemacht, aber nicht ausgeführt wurden« (A. Wahl, Vorgesch. d. franz. Revolution I, S. 29 und überall), wo die Hochfinanz Turgot und jeden andern stürzen konnte, der ihr mit seinen Reformplänen unbequem wurde, wo die gebildete Welt, Prinzen, Adlige, hohe Geistliche und Militärs an der Spitze, der Anglomanie verfallen war und jeder Art von Opposition Beifall klatschte, selbst dort wäre nichts geschehen, hätte nicht eine plötzliche Reihe von Zwischenfällen zusammengewirkt: die zur Mode gewordne Beteiligung von Offizieren an dem Kampf amerikanischer Republikaner gegen das englische Königtum, die diplomatische Niederlage in Holland (27. Oktober 1787) mitten in der großartigen Reformtätigkeit der Regierung, und der fortgesetzte Ministerwechsel unter dem Druck unverantwortlicher Kreise. Im britischen Reich war der Abfall der amerikanischen Kolonien die Folge der Versuche hochtorystischer Kreise, im Einverständnis mit Georg III., aber selbstverständlich im eignen Interesse die Königsgewalt zu stärken. Diese Partei besaß in den Kolonien eine starke Anhängerschaft von Royalisten, namentlich im Süden, die auf englischer Seite kämpfend die Schlacht von Canden entschieden hat und nach dem Sieg der Rebellen zum größten Teil in das königstreu gebliebene Kanada ausgewandert ist.]  
    In England selbst, wo der Adel absoluter herrschte als irgend jemand in Frankreich, hat zwar ein kleiner Kreis um Fox und Sheridan die Ideen der französischen Revolution – sie waren sämtlich englischer Herkunft – begrüßt; man sprach von allgemeinem Stimmrecht und Parlamentsreform. [1793 wurden 306 Mitglieder des Unterhauses von insgesamt 160 Personen gewählt. Der Wahlkreis des alten Pitt, Old Sarum, bestand aus einem Pachthause, das zwei Abgeordnete entsandte.] Aber das genügte, um beide Parteien unter Führung eines Whig, des jüngeren Pitt, zu den schärfsten Maßregeln zu veranlassen, die alle Versuche vereitelt haben, das Adelsregiment zugunsten des dritten Standes auch nur anzurühren. Der englische Adel hat den zwanzigjährigen Krieg gegen Frankreich entfesselt und alle Monarchen Europas in Bewegung gesetzt, um endlich bei Waterloo nicht dem Kaisertum, sondern der Revolution ein Ende zu machen, die es gewagt hatte, die Privatansichten englischer Denker ganz naiv in die praktische Politik einzuführen und damit dem gänzlich formlosen
tiers
eine Stellung zu geben, deren Folgen man nicht in den Pariser Salons, aber um so besser im englischen Unterhause voraussah. [Seit 1832 hat der englische Adel dann selbst durch eine Reihe von vorsichtigen Reformen das Bürgertum zur
Mitarbeit
herangezogen, aber unter seiner beständigen Leitung und vor allem im Rahmen seiner Tradition, in welche die jungen Talente hineinwuchsen. Die Demokratie verwirklichte sich so, daß die Regierung streng in Form blieb, und zwar in der alten aristokratischen, es aber jedem (seiner Meinung nach) freistand, Politik zu machen. Dieser Übergang mitten in einer bauernlosen und von Geschäftsinteressen beherrschten Gesellschaft ist die größte innerpolitische Leistung des 19. Jahrhunderts.]
    Was man hier Opposition nannte, war die Haltung der einen Adelspartei, solange die andre die Regierung führte. Sie bedeutete hier nicht, wie überall auf dem Festland, berufsmäßige Kritik an einer Arbeit, die zu leisten der Beruf anderer war, sondern den praktischen Versuch, die Regierungstätigkeit in eine Form zu zwingen, die man jeden Augenblick bereit und fähig war, selbst aufzunehmen. Aber diese Opposition wurde sofort unter völliger Unkenntnis ihrer gesellschaftlichen Voraussetzungen vorbildlich für das, was die Gebildeten in Frankreich und anderswo erstrebten, eine Standesherrschaft des
tiers
unter den Augen der Dynastie, über deren fernere Stellung man sich immerhin nicht ganz klar war. Die Einrichtungen Englands wurden seit Montesquieu mit einem begeisterten Mißverständnis gepriesen, obwohl all diese Staaten keine Inseln waren und deshalb die wesentlichste Voraussetzung der englischen Entwicklung nicht besaßen. Nur in einem Punkte war England wirklich ein Vorbild. Als das Bürgertum daranging, den absoluten Staat wieder in einen Ständestaat zu verwandeln, fand es drüben ein Gebilde, das nie etwas andres gewesen war. Allerdings war es der Adel allein, der regierte, aber zum wenigsten war es nicht die Krone.
    Das Ergebnis der Epoche und die Grundform der Festlandstaaten zu Beginn der Zivilisation ist

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