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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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ff.]
    Es ist wieder für die Antike bezeichnend, daß der Typus dieser Revolutionen nur eine Vergrößerung ihrer Zahl, nicht ihres Umfangs gestattet. Sie treten in Masse auf, aber jede entwickelt sich vollkommen für sich und an einem Punkte, und nur die Gleichzeitigkeit aller gibt ihnen den Charakter einer Gesamterscheinung, die Epoche macht. Dasselbe gilt vom Napoleonismus, mit dem sich zum erstenmal ein formloses Regiment über das Gefüge des Stadtstaates erhebt, ohne sich innerlich ganz von ihm befreien zu können. Er stützt sich auf das Heer, das sich gegenüber der außer Form geratenen Nation als selbständige politische Größe zu fühlen beginnt. Das ist auch der kurze Weg von Robespierre zu Bonaparte; mit dem Sturz der Jakobiner geht das Schwergewicht von der Zivilverwaltung auf die ehrgeizigen Generale über. Wie tief dieser neue Geist in alle Staaten des Abendlandes eingedrungen war, zeigt neben der Laufbahn Bernadottes und Wellingtons die Geschichte des Aufrufs »An mein Volk« von 1813; hier wurde von militärischer Seite die Fortdauer der preußischen Dynastie in Frage gestellt, falls der König sich nicht zum Bruch mit Napoleon entschließe.
    Die zweite Tyrannis kündigt sich denn auch an mit der die innere Form der Polis aufhebenden Stellung, welche Alkibiades und Lysander gegen Ende des Peloponnesischen Krieges im Heer ihrer Stadt einnahmen. Der erste übte seit 411, obwohl verbannt und also ohne Amt und gegen den Willen der Heimat, die tatsächliche Herrschaft über die athenische Flotte aus; der zweite, der nicht einmal Spartiat war, fühlte sich im Kommando eines ihm persönlich ergebenen Heeres vollkommen unabhängig. Im Jahre 408 hatte sich der Kampf zweier Mächte in den zweier Männer um die Herrschaft über die ägäische Staatenwelt entwickelt. [Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. IV, § 626, 630.] Bald darauf hat Dionysios von Syrakus dem antiken Krieg durch die Ausbildung der ersten großen Berufsarmee – er hat auch die Kriegsmaschinen und Geschütze eingeführt [H. Delbrück, Geschichte der Kriegskunst (1908) I, S. 142.] – eine neue, auch für die Diadochen und Römer vorbildliche Form gegeben. Von nun an ist der Geist des Heeres eine politische Macht für sich, und es wird eine sehr ernste Frage, bis zu welchem Grade der Staat Herr oder Werkzeug der Soldaten ist. Daß die Regierung Roms 390–367 [Das Todesjahr des Dionysios, was vielleicht kein Zufall ist.] ausschließlich von einem Militärausschuß geführt wurde, [3 bis 6
tribuni militares consulari potestate
statt der Konsuln. Gerade damals muß durch die Einführung des Soldes und der langen Dienstzeit innerhalb der Legionen ein Stamm wirklicher Berufssoldaten entstanden sein, welche die Wahl der Centurionen in der Hand hatten und den Geist der Truppe bestimmten. Es ist ganz falsch, jetzt noch vom Bauernaufgebot zu reden, ganz abgesehen davon, daß die vier großen Stadttribus einen erheblichen Teil der Mannschaft lieferten, deren Einfluß noch über die Zahl hinausging. Selbst die altertümelnde Schilderung des Livius und anderer läßt deutlich erkennen, welchen Einfluß die stehenden Verbände auf den Kampf der Parteien ausgeübt haben.] verrät eine Sonderpolitik des Heeres deutlich genug. Es ist bekannt, daß Alexander, der Romantiker der zweiten Tyrannis, in zunehmende Abhängigkeit vom Willen seiner Soldaten und Generale geriet, die nicht nur den Rückzug aus Indien erzwangen, sondern auch mit Selbstverständlichkeit über seinen Nachlaß verfügt haben.
    Das gehört zum Wesen des Napoleonismus, und ebenso die Ausdehnung der persönlichen Herrschaft über Gebiete, deren Einheit weder nationaler, noch rechtlicher, sondern lediglich militärischer und verwaltungstechnischer Natur ist. Aber gerade diese Ausdehnung ist mit dem Wesen der Polis unvereinbar. Der antike Staat ist der einzige, der keiner organischen Erweiterung fähig ist, und die Eroberungen der zweiten Tyrannis führen deshalb zu einem Nebeneinander von zwei politischen Einheiten, der Polis und dem unterworfenen Gebiet, deren Zusammenhang zufällig und immer gefährdet bleibt. So entsteht das merkwürdige und in seiner tieferen Bedeutung noch gar nicht erkannte Bild der hellenistisch-römischen Welt: ein Kreis von Randgebieten und mitten darin das Gewimmel der winzigen Poleis, mit denen der Begriff des eigentlichen Staates, der res publica, ausschließlich verbunden bleibt. In dieser Mitte, und zwar für jede dieser Herrschaften in einem einzigen Punkt, befindet

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