Der Untergang des Abendlandes
im Volk, die sich organisiert hat, ist damit bereits das
Werkzeug
der Organisation geworden und sie schreitet unaufhaltsam auf diesem Wege weiter, bis auch die Organisation das Werkzeug der Führer geworden ist. Der Wille zur Macht ist stärker als alle Theorie. Am Anfang entsteht die Führung und der Apparat des Programms wegen; dann werden sie von den Inhabern um der Macht und Beute willen verteidigt, wie es heute schon ganz allgemein der Fall ist, wo in allen Ländern Tausende von der Partei und den von ihr vergebenen Ämtern und Geschäften leben, und endlich verschwindet das Programm aus der Erinnerung und die Organisation arbeitet für sich allein.
Beim älteren Scipio und Qu. Flaminius ist noch von Freunden die Rede, die sie in den Krieg begleiten, aber der jüngere Scipio hat sich eine
cohors amicorum
gebildet, wohl das erste Beispiel eines organisierten Gefolges, das dann auch vor Gericht und bei den Wahlen arbeitet. [Zum folg.: M. Geizer, Die Nobilität der römischen Republik (1912), S.43ff. A. Rosenberg, Untersuch, zur röm. Centurienverfassung (1911), S. 62 ff.] Ebenso entwickelt sich das ursprünglich ganz patriarchalische und aristokratische Treuverhältnis des Patrons zu seinen Klienten zu einer Interessengemeinschaft auf sehr materieller Grundlage, und schon vor Cäsar gibt es schriftliche Verträge zwischen Kandidaten und Wählern mit genauer Festsetzung von Zahlung und Gegenleistung. Auf der anderen Seite bilden sich, ganz wie im heutigen Amerika, [Allbekannt ist Tammany Hall in New York, aber die Verhältnisse nähern sich diesem Zustand in allen von Parteien regierten Ländern. Der amerikanische »Caucus«, der die Staatsämter unter seine Mitglieder verteilt und deren Namen dann der Wählermasse aufzwingt, ist als
National Liberal Federation
von Chamberlain in England eingeführt worden und seit 1919 auch in Deutschland in rascher Entwicklung begriffen.] die Klubs und Wahlvereine der Tribulen, welche die Masse der Wähler des Bezirks beherrschen oder verscheuchen, um mit den großen Führern, den Vorläufern der Cäsaren, von Macht zu Macht über das Wahlgeschäft zu verhandeln. Das ist nicht ein Scheitern, sondern der Sinn und das notwendige Endergebnis der Demokratie, und die Klage weltfremder Idealisten über diese Zerstörung ihrer Hoffnungen kennzeichnet nur deren Blindheit für das unerbittliche Zweierlei von Wahrheiten und Tatsachen und die innere Verbundenheit von Geist und Geld.
Die politisch-soziale
Theorie
ist nur eine, aber eine notwendige Unterlage der Parteipolitik. Die stolze Reihe von Rousseau bis Marx hat ihr Seitenstück in der antiken von den Sophisten bis zu Plato und Zenon. In China sind die Grundzüge der entsprechenden Lehren aus der konfuzianischen und taoistischen Literatur noch zu ermitteln; es genügt, den Namen des Sozialisten Moh-ti zu nennen. In der byzantinischen und arabischen Literatur der Abbassidenzeit, wo der Radikalismus stets in strenggläubiger Fassung auftritt, nehmen sie einen breiten Raum ein und wirken als treibende Kräfte in allen Krisen des 9. Jahrhunderts; in Indien und Ägypten wird ihr Vorhandensein durch den Geist der Ereignisse zur Zeit Buddhas und der Hyksos bewiesen. Einer literarischen Fassung bedürfen sie nicht; ebenso wirksam ist die mündliche Verbreitung, die Predigt und Propaganda in Sekten und Bünden, wie sie am Ausgang puritanischer Strömungen, also im Islam und im englisch-amerikanischen Christentum ganz allgemein ist.
Ob diese Lehren »wahr« oder »falsch« sind, ist für die Welt der politischen Geschichte – das muß immer wieder betont werden – eine Frage ohne Sinn. Die »Widerlegung« etwa des Marxismus gehört in den Bereich akademischer Erörterungen oder öffentlicher Debatten, wo jeder recht hat und die andern immer unrecht. Ob sie
wirksam
sind, – seit wann und für wie lange der Glaube, die Wirklichkeit nach einem Gedankensystem verbessern zu können, überhaupt eine Macht ist, mit der die Politik zu rechnen hat, darauf kommt es an. Wir befinden uns in einer Zeit grenzenlosen Vertrauens auf die Allmacht der Vernunft. Die großen allgemeinen Begriffe Freiheit, Recht, Menschheit, Fortschritt sind heilig. Die großen Theorien sind Evangelien. Ihre Überzeugungskraft beruht nicht auf Gründen, denn die Masse einer Partei besitzt weder die kritische Energie noch die Distanz, um sie ernsthaft zu prüfen, sondern auf der sakramentalen Weihe ihrer Schlagworte. Allerdings beschränkt sich dieser Zauber auf die
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