Der Untergang
Andrej. »Da ist nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest, Laurus. Ich erhebe weder
Anspruch auf deine Position, noch auf dein Weib. Ich werde einfach warten.«
Die Brutalität dieser Aussage wurde ihm erst klar, als er die Reaktion darauf in Laurus’ Blick las. Dann
jedoch mit umso größerer Wucht. Für einen Moment konnte er kaum glauben, dass es seine eigene
Stimme gewesen war, die diese Worte ausgesprochen hatte. Von allem, was er dem Sterblichen hätte
sagen können, war dies vielleicht das Schlimmste und zugleich die größte Erniedrigung, die ein Mann
einem anderen zufügen konnte. Er versuchte sich vorzustellen, wie Laurus sich in diesem Moment fühlen
musste, aber seine Fantasie reichte dazu nicht aus. Laurus war ein Mann, für den jeder Tag, der verging,
unwiederbringlich verloren war, und der mit jedem Atemzug, den er tat, dem Tod ein Stück näher kam.
Ein Mensch, der alterte. Wie sehr musste es ihn schmerzen, neben einer Frau zu leben, für die die Zeit
stehen geblieben war, die heute noch so schön und jugendlich aussah wie vor zwanzig Jahren? Und welch
ungleich größere Schmach musste es bedeuten, den Nebenbuhler Tag für Tag vor Augen zu haben, einen
Mann, dem die Zeit ebenso wenig anhaben konnte wie seinem Weib und der nichts weiter tun musste, als
einfach nur zu warten.
Andrej schämte sich, und er verstand immer weniger, was ihn zu dieser Grausamkeit getrieben hatte.
»Verzeih«, murmelte er.
Laurus zwang sich zu einem Lächeln. »Da gibt es nichts zu verzeihen, Andreas«, sagte er. »Willst du dich
für das entschuldigen, was du bist? Es ist schließlich nicht deine Schuld.« Er schloss für einen Moment die
Augen und fuhr dann mit leiserer, aber gefasster Stimme fort: »Ich wusste immer, dass du eines Tages
kommen würdest. Elena hat mir nie etwas vorgemacht. Mir war stets klar, dass ich diesen Kampf nicht
gewinnen kann. Nun, es tut trotzdem weh, ihn zu verlieren, aber ich hasse dich nicht dafür. Ich werfe dir
nicht einmal etwas vor. Du hast die Welt nicht gemacht, und dich selbst auch nicht.«
Seltsam - aber Andrej glaubte zu spüren, dass diese Worte ehrlich gemeint waren. Sie berichtigten eine
Menge von dem, was er über Laurus gedacht hatte. Und wenn es bei diesem ganzen Dilemma je um
Schuld gegangen war, dann schuldete er diesem Mann Hochachtung. Wortlos wandte er sich ab und ging
zu seinem Wagen zurück.
Lange, sehr lange nach Mitternacht kam Elena zu ihm. Andrej war längst eingeschlafen. Er hatte nicht
damit gerechnet, in dieser Nacht auch nur ein Auge zuzutun, aber die sonderbare Schwäche und
Kraftlosigkeit, die schon seit Tagen an ihm nagte, hatte auch jetzt wieder ihr Recht gefordert, und er war
trotz allem in einen unruhigen Schlummer gesunken. Ein Schlaf, aus dem er einige Male aufgeschreckt
war, allein mit der Dunkelheit in seinem Wagen, und dem verwirrenden Gefühl, dass irgend etwas nicht so
war, wie es den Anschein hatte; und schon ganz und gar ich so, wie es sein sollte. Er war jedes Mal wieder
eingeschlafen, bevor er diesen Gedanken ganz zu Ende verfolgen konnte, und als er das dritte oder vierte
Mal erwachte, da war er nicht mehr allein. Eine vertraute Wärme presste sich an seinen Körper, und er
spürte Elenas Gegenwart, noch bevor er ihren Geruch wahrnahm, das seidige Gefühl ihrer Haut auf seiner
Brust fühlte und dann die süße Berührung ihrer Lippen. Fast instinktiv erwiderte er ihren Kuss und schloss
sie in seine Arme, aber nur für einen Moment.
Dann wurden seine Lippen spröde, und er ergriff sie bei den Schultern und schob sie, sanft aber
nachdrücklich, ein Stück von sich fort.
Elena versteifte sich unter seiner Berührung, dann machte sie sich los, setzte sich auf und sah verwirrt auf
ihn herab. In dem schwachen Mondlicht, das durch das offene Fenster herein strömte, konnte er erkennen,
dass sie ihr Kleid bereits ausgezogen hatte und nackt war, und wieder erging es ihm so, wie schon ein paar
Mal zuvor: Er betrachtete den Körper einer Göttin, aber es war ihm unmöglich zu sagen, wie alt sie war,
nicht einmal, ob sie wirklich schön war. Es konnte an nichts anderem liegen als am schwachen Licht und
dem verwirrenden Spiel der Schatten, aber für einen ganz, ganz kurzen Moment hatte ihr Gesicht etwas
Katzenhaftes, etwas noch immer unwiderstehlich Verlockendes zwar, aber eine Schönheit, die plötzlich
die eines tödlichen Räubers war. Doch wie so viele Gedanken in letzter Zeit, entglitt ihm auch dieser, und
schon im nächsten Moment war selbst die
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