Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
ist besser zu gehen, bevor man es mir sagt.«
»Aber das ist doch nicht die Wahrheit«, wollte Andrej schreien, aber in Wahrheit flüsterte er nur, obwohl
die Worte in seinem Kopf gellten.
»Was ist schon Wahrheit?«, sagte Abu Dun. Er löste sich endlich aus den Schatten, in denen er
dagestanden und Andrej angestarrt hatte, und kam ihm ganz nahe. »Es war eine schöne Zeit mit dir,
Andrej«, sagte er. »Du hast mir eine Menge genommen, aber du hast mehr dafür gegeben, als ich verloren
habe. Dafür danke ich dir. Und ich wünsche dir von Herzen, dass du dein Glück findest. Oder wenigstens
deinen Seelenfrieden.« Er lachte leise. »Und solltest du noch einmal in meine Heimat kommen und ein
paar Sarazenenschädel einschlagen, dann achte darauf, dass sie nicht schwarz sind, denn einer davon
könnte der meine sein.
Inschallah.«
Erst später, viel später, wie es Andrej erschien, wurde ihm klar, dass der Nubier sich einfach abgewandt
hatte und in Richtung der Koppel davon gegangen war, ohne noch einmal in sein Zelt zurück zu kehren
und sein Gepäck zu holen. Und erst da begriff er, dass Abu Dun schon lange zum Aufbruch bereit
gewesen war und nur auf ihn gewartet hatte, um ihm diese wenigen, aber unendlich kostbaren Worte zu
sagen.
Und dann, als es viel zu spät war, begriff er, dass es durchaus etwas auf der Welt gab, das ebenso
schmerzte wie die Gewissheit, sein Ziel verloren zu haben. Abgesehen von dem Gefühl, von dem er noch
immer nicht wusste, ob es nun Liebe war oder etwas, das er nur dafür hielt, vermochte es einem
Menschen das Herz zu brechen, einen Freund zu verlieren.
Aber vielleicht war auch dies nur eine der vielen Lektionen, die man erst im Laufe eines Lebens lernte:
Das man es immer erst dann wirklich begriff, wenn es längst zu spät war.
Von einer inneren Unruhe getrieben, deren Gründe er nicht zu erforschen wagte, ging Andrej nicht zurück
zu seinem Wagen - obwohl da aller Logik und innerem Aufruhr zum Trotz noch eine dünne Stimme war,
die ihm sagte, dass Elena möglicherweise gerade in diesem Moment dort auf ihn wartete -, sondern
wandte sich in die entgegen gesetzte Richtung, dem hell erleuchteten Zentrum des Lagers zu.
Er wusste selbst nicht, warum. Die laute Musik, das Lachen, all die fröhlichen Menschen dort widerten
ihn an, denn in diesem Moment erschien ihm die Atmosphäre, die über diesem Platz lag, nicht als
Ausdruck von Lebenslust, sondern von purem Hohn. So bewegte er sich, fast gegen seinen Willen, genau
dorthin, wo er im Moment eigentlich am wenigsten sein wollte, und schon bald fand er sich inmitten einer
ausgelassenen, fröhlichen Menschenmenge wieder und vor der Bühne, auf der Bason oder sein Bruder im Moment war es Andrej wirklich nicht mehr möglich, die beiden zu unterscheiden - gerade ein
Kunststück mit wirbelnden Messern und brennenden Keulen aufführten. Eine Jonglierübung, die
gefährlicher aussah, als sie war, die zum größten Teil bereits angetrunkene Zuschauermenge aber in ihren
Bann schlug.
Während er so dastand und der Darbietung zusah, das falsche Lachen hörte und in tückische Augen
blickte, die weniger die Fertigkeit des Künstlers würdigten als vielmehr darauf warteten, dass dieser
daneben griff und einer der Dolche seine Hand durchbohrte oder eine brennende Fackel sein Gesicht
versengte, fragte sich Andrej, ob das hier wirklich die Welt war, in der er leben konnte. Er war weitgehend
frei von Vorurteilen und hatte weder etwas gegen Gaukler noch gegen das fahrende Volk, aber er war oft
genug bei Menschen wie diesen gewesen, um längst begriffen zu haben, dass er ein solches Leben nicht
führen wollte. Und obwohl auch er schon so lange unterwegs war, dass er gar nicht mehr wusste, was das
Wort Heimat wirklich bedeutete, war er doch stets auf der Suche danach gewesen. Diese Menschen hier
waren Reisende, die ihr Ziel längst gefunden hatten, denn ihr Ziel war die Reise. Ganz plötzlich und mit
unerschütterlicher Sicherheit begriff er, dass er dieses Leben auf Dauer weder führen wollte noch konnte.
Aber was bedeutete schon auf Dauer für einen Unsterblichen?
»Du hast dich also entschieden«, sagte eine Stimme hinter ihm.
Andrej drehte sich herum und sah ohne Überraschung in Laurus’ Gesicht. Erst im Nachhinein wurde ihm
klar, daß der Grauhaarige schon eine ganze Weile hinter ihm gestanden und ihn angeblickt hatte. »Ja«,
sagte er.
In Laurus’ Augen erschien eine Bitterkeit, die Andrej die Kehle zuschnürte. »Und was willst du tun?«
»Nichts«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher