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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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doch!«, sagte sie herausfordernd. »Töte mich.«
Alles in ihm schrie danach, es tatsächlich zu tun. Nie zuvor hatte er den Tod eines Menschen so sehr
gewollt wie jetzt den dieser alten Frau, und niemals zuvor hatte so deutlich gewusst, dass er es nicht tun
durfte. Ganz plötzlich begriff er, dass er diesen Kampf nicht gewinnen konnte, ganz egal, wie er ausging.
Anka lachte erneut, hustete plötzlich gequält und spuckte Blut, und Andrej begriff, dass er sie bereits
tödlich verletzt hatte. Ganz gleich, wie mächtig das Ding in ihr auch sein mochte, ihr Körper war der einer
über hundert Jahre alten Frau, für den schon eine flüchtige Bewegung eine tödliche Gefahr darstellen
konnte. Er lockerte seinen Griff weiter, ließ die zur Faust geballte Rechte aber nicht sinken. Seine
Gedanken rasten. Was sollte er tun? Auch der Vampyr in ihm schien zu zögern, als begriffe er ganz
instinktiv, was geschehen würde, wenn er versuchte, dieses uralte, unvorstellbar mächtige Konglomerat
aus Hunderten und Aberhunderten verdorbener Seelen zu verschlingen. Aber die Gier war trotzdem da,
und sie wurde mit jedem Moment stärker. Das Ding in ihm war kein Intellekt. Nichts, was logisch dachte
oder plante, sondern ein seelenloser Killer, der keinen anderen Daseinszweck kannte als zu töten.
»Aber ich will es dir trotzdem sagen, Unsterblicher«, sagte Anka kichernd. »Ich habe deinem Freund einen
Herzenswunsch erfüllt. Etwas, das er von dir nie bekommen hat.«
Andrej keuchte. »Du hast -«
»Hat man dir nie gesagt, dass wir das können?«, fragte Anka hämisch. »Es ist so leicht. Man muss nur
seine Gier beherrschen, weißt du? Du darfst nicht alles von einer Seele nehmen, und du musst ihr etwas
von dir geben. Die meisten sterben daran, aber einige schaffen es doch. Mach dir keine Sorgen um deinen
großen Freund. Er ist stark. Er wird es überleben, und er wird ein würdiger Nachfolger für dich werden.«
Sie kicherte. »Wenigstens so lange er noch lebt.«
»Hör auf«, sagte Andrej mit zitternder Stimme. »Hör auf!«
Anka kicherte erneut, leise und meckernd, und so böse, dass es Andrejs ganzer Willenskraft bedurfte,
nicht die Hand um ihren dürren Hals zu schließen und ihn zu zerquetschen.
»Und was willst du tun, wenn nicht?«, fragte sie. »Mich töten? Nur zu. Damit erweist du mir nur einen
Gefallen. Dieser Körper hat längst ausgedient. Töte mich, und wir werden beide ewig leben.«
Andrej ließ ihre Kehle los, richtete sich halb auf, und schlug ihr dann die geballte Faust mit aller Gewalt
gegen die Schläfe. Die alte Frau starb auf der Stelle.
Und dann explodierte der Raum unter einer Flut brodelnder, schwarzer Lebensenergie, die aus ihr
hervorbrach wie eine Flutwelle aus einem zerbrochenen Damm; eine Woge von Kraft, wie Andrej sie
noch nie gespürt hatte, und vielleicht nie wieder spüren sollte, und die danach schrie, von ihm
verschlungen und seiner eigenen Lebenskraft hinzugefügt zu werden.
Aber er tat es nicht.
Der Vampyr in ihm schrie auf, wütend, in schierer Raserei vor Gier und Enttäuschung, diese unendlich
verlockende Beute nicht schlagen zu können, aber irgendwie gelang es Andrej, ihn zurückzuhalten.
Vielleicht war es nicht einmal seine eigene Kraft. Vielleicht war es etwas, das noch stärker war als seine
dunkle Seite, das pure Wissen, dass es sein sicheres Ende bedeuten musste, wenn er versuchte, aus der
Quelle des reinen Bösen zu trinken. Andrej krümmte sich, schlug die Fäuste vor das Gesicht und stürzte
schließlich rücklings zu Boden. Er hörte nicht, dass er schrie, und er spürte nicht, dass er sich wie in
Krämpfen auf dem Boden wand, während er verzweifelt versuchte, der immer stärker werdenden Gier zu
widerstehen.
Das Toben der Bestie wurde zur Agonie, hatte längst die Grenzen dessen, was vorstellbar war,
überschritten, und drohte ihn nun seinerseits zu verzehren, und er spürte, dass er den Kampf verlieren
würde …
Und dann war es vorbei.
Die Raserei hörte auf, und das Ungeheuer in ihm zog sich wieder in sein Versteck am Grunde seiner Seele
zurück, nicht geschlagen, sondern zutiefst verstört und erschrocken. Andrej sank erschöpft zurück, schloss
für einen Moment die Augen und wartete darauf, dass sich sein rasender Herzschlag beruhigte und sein
Atem nicht mehr keuchend und unregelmäßig ging. Er war am ganzen Leib in Schweiß gebadet, und als er
sich aufrichtete und sich zu Ankas Lager herumdrehte, zitterten seine Hände so stark, dass er sie gegen
den Leib pressen musste.
Die

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