Der Untergang
Inquisitor auf dem Weg hierher.
Ich glaube nicht, dass er sich mit ein paar Lügen abspeisen lässt. Nein, das stimmt nicht.
Ich weiß, dass es nicht so ist. Ich hatte schon hinlänglich Gelegenheit, Erfahrungen mit ihnen zu
sammeln.«
»Deine Sorge um uns rührt mich«, sagte Anka. »Aber ich kann dich beruhigen. Wir haben für alles
vorgesorgt. Und gerade dein Freund Flock wird es sein, der unsere Unschuld beweist.«
»Hör auf damit, Anka«, sagte Laurus. »Merkst du denn nicht, dass er nur Zeit gewinnen will?«
»Vielleicht hast du Recht«, sagte Anka nachdenklich.
Direkt an Andrej gewandt und in verändertem Ton fuhr sie fort:
»Ja, ich weiß, was du vorhast, Andrej. Du willst Zeit gewinnen. Du willst Kraft sammeln, weil du glaubst,
mir gewachsen zu sein. Ich glaube nicht, dass du es bist, aber Laurus hat Recht. Du bist gefährlich.
Gefährlicher vielleicht, als ich selbst jetzt schon ahne. Es wäre töricht, dir eine Chance zu geben.«
Und damit führte sie die begonnene Bewegung zu Ende, und schlug ihre Krallenfinger in sein Gesicht, und
gleichzeitig griff der Seelenfresser in ihr nach Andrejs verbliebener Lebenskraft, um sie mit einem einzigen
Ruck aus ihm herauszureißen.
Und Andrej entfesselte den Vampyr in sich.
Ankas Augen wurden groß vor Entsetzen, als sie schlagartig begriff, wie grausam sie sich getäuscht hatte,
dass sie es nicht mit einem wehrlosen und schon fast toten Opfer, sondern einem gleichwertigen Gegner zu
tun hatte, einem Ding, das mindestens so böse und alt war wie das, das sie selbst beseelte, aber ungleich
gieriger und wilder. Sie prallte keuchend zurück, und Andrej sprang mit einer einzigen Bewegung auf und
versetzte dem Tisch einen Tritt, der ihn umfallen und Anka mitsamt ihres zusammenbrechenden Stuhles
unter sich begraben ließ. Noch aus der gleichen Bewegung heraus und so schnell, dass Laurus nicht die
Spur einer Chance hatte, auch nur zu begreifen, was hier geschah, geschweige denn, sich zu wehren,
wirbelte er herum und brach ihm mit einer blitzschnellen Bewegung das Genick. Noch bevor Laurus
zusammenbrach, langte er über den umgestürzten Tisch, schleuderte ihn zur Seite und riss Anka an den
Haaren in die Höhe.
Die blinde Greisin wimmerte vor Schmerz und Angst. Ihre dürren, immer noch zu Krallen gekrümmten
Hände fuhren ziellos durch die Luft und versuchten sein Gesicht zu zerkratzen, aber auch die andere, viel
stärkere Bestie in ihr verschwendete ihre Kraft für einen Moment in sinnloser Raserei - vielleicht für den
entscheidenden Moment, denn obwohl Andrej schon längst nicht mehr Herr seiner selbst war und
eigentlich nur noch Zuschauer, der dem Toben des Vampyrs mit einer Mischung aus Entsetzen und
grimmiger Befriedigung folgte, spürte er doch, dass diese vermeintlich uralte, zerbrechliche Greisin eine
zumindest gleichwertige Gegnerin war, wenn nicht ihm überlegen. Hätten Überraschung und Wut sie nicht
blind gemacht, so hätte sie ihn durchaus überwinden können. Aber der Moment war vorbei, und Andrej
gedachte nicht, ihr eine zweite Chance zu geben.
So mühelos als wöge sie gar nichts, hob er Anka hoch und schleuderte sie quer durch den Raum auf das
schäbige Bett, das vor der gegenüberliegenden Wand stand. Der Aufprall ließ Anka pfeifend die Luft
ausstoßen und brach ihr vermutlich mehrere Knochen, und Andrej konnte spüren, wie aus ihrer Raserei
Panik wurde. Blitzschnell war er über ihr, packte sie mit der linken Hand an der Kehle und ballte die
andere zur Faust.
»Wage es nicht!«, sagte er. »Um dich selbst zu zitieren, alte Frau: Ich weiß, wie gefährlich du bist. Und
auch ich habe nicht vor, dir eine Chance zu geben.«
Anka hustete. Er sah, dass sie zu antworten versuchte, aber seine Hand schnürte ihr die Luft ab. Andrej
lockerte zwar den Griff ein wenig, blieb aber auf der Hut. Gleichzeitig lauschte er mit seinen
nichtmenschlichen Sinnen in sie hinein, und erneut lief ihm ein eisiger Schauer über den Rücken, als er die
unvorstellbare Macht der Vampyrin spürte, ein unendlich altes, unendlich böses Ding, das vielleicht schon
seit Jahrtausenden Seelen fraß und das mit jedem Leben, das es genommen hatte, stärker, böser und
niederträchtiger geworden war. »Was habt Ihr vor?«, fragte er.
»Was habt Ihr mit Abu Dun gemacht? Rede, du altes Weib, oder ich schwöre dir, ich schlage dir den
Schädel ein!«
Anka gab einen Laut von sich, den er im ersten Moment für ein Stöhnen hielt, bis er begriff, dass es nichts
anderes als ein Lachen war. »Tu es
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