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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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da war noch etwas. Das Blut rann
weiter seine Kehle hinab. Die brennende Verlockung, die es transportierte, hatte die Tür des Gefängnisses
erreicht und begann, sich hineinzufressen wie Säure in altes, längst morsch gewordenes Holz.
»Du bist also noch am Leben«, sagte Anka. Er konnte hören, wie sie den Kopf schüttelte. »Das ist
erstaunlich. Ich habe noch keinen getroffen, der die dritte Nacht mit Elena überlebt hätte.
Wer bist du Andrej Delãny? Was hast du uns verschwiegen?«
Die Bestie auf der anderen Seite der Tür zerrte immer wilder an ihren Ketten.
Etwas raschelte. Ankas säuerlicher Greisinnen-Geruch wurde intensiver, dann berührte eine pergamenttrockene Hand seine Wange. Dürre Spinnenfinger tasteten über sein Gesicht, berührten seine Augen, seine
Stirn, und er spürte, wie etwas in ihn eindrang und mit brutaler Kraft nach dem flackernden Lebensfunken
in ihm griff. Doch statt ihn endgültig zu löschen, fachte sie ihn zu höherer Glut an. Nicht viel. Nicht
annähernd genug, dass er hätte auf den Gedanken kommen können, sich zur Wehr zu setzen, aber doch
genug, ihm zumindest die Kontrolle über seinen Körper zurückzugeben. Mühsam öffnete er die Augen und
blickte in Ankas Gesicht. Obwohl sie blind war, musste sie es irgendwie registriert haben, denn ihr
faltenzerfurchtes Antlitz verzog sich zur höhnischen Grimasse eines Lächelns. »Ja, wir können auch Kraft
geben, Andrej«, sagte sie. »Das hast du nicht gewusst, nicht wahr? Woher auch? Nehmen ist ja so viel
seliger denn Geben.«
Er versuchte, sich aufzurichten und ganz instinktiv Laurus’ Hände abzuschütteln, die immer noch schwer
auf seinen Schultern lagen, aber dazu reichte seine Kraft nicht aus. »Was willst du von mir?«, murmelte
er.
»Dein Leben, was sonst?«, fragte Anka. Sie klang ehrlich verwundert. »Wenigstens das, was noch übrig
ist. Aber du interessierst mich auch. Du bist ein erstaunlicher Mann, Andrej. Die Wenigsten überleben die
erste Nacht mit meiner Tochter. Nur ganz wenige die zweite. Eine dritte hat noch keiner geschafft.« Sie
schüttelte den Kopf. »Erstaunlich.«
»Deine Tochter?«
Anka lachte meckernd. »Oh, hat sie vergessen, dir das zu erzählen? Ja, ja, Elena ist mein Kind. Ich war
nicht einmal sechzehn, als ich sie geboren habe.« Wieder lachte sie, und diesmal lag ein hämischer Ton
darin, der Andrej einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. »Ich hatte Zeit genug, mich daran zu
gewöhnen, aber es gibt Momente, in denen ich wirklich bedaure, nichts sehen zu können. Jetzt zum
Beispiel.
Ich hätte zu gern dein Gesicht gesehen, als du dir gerade ausgerechnet hast, dass du mit einer
Hundertjährigen im Bett warst.«
»Warum?«, murmelte Andrej.
Anka legte den Kopf schräg. »Warum was?«
»Warum habt ihr mich nicht einfach umgebracht?«, murmelte Andrej. »Warum habt ihr eure Brut nicht
einfach gewähren lassen? Bereitet es euch solche Freude, Menschen zu quälen?«
»Auch das«, erwiderte Anka ungerührt. »Aber ich dachte, Elena hätte es dir gesagt. Es gibt nur noch
wenige wie dich, Andrej, und auch das Leben einer Unsterblichen endet irgendwann. Das Überleben des
Volkes muss gesichert werden.« Sie deutete mit einer verächtlichen Geste auf Laurus, der hinter seinem
Stuhl stand. »Du hast ja gesehen, was dabei herauskommt, wenn wir uns mit normalen Sterblichen
paaren.«
Andrej blickte weiter starr in Ankas Gesicht, aber er konnte spüren, wie Laurus hinter ihm leicht
zusammenfuhr. »Dann habt ihr ja jetzt, was ihr wolltet«, sagte er kalt. »Töte mich. Vielleicht tust du mir
damit ja einen Gefallen.«
»Das wäre ja fast ein Grund für mich, es nicht zu tun«, sagte Anka, lachte aber gleich darauf meckernd,
schüttelte den Kopf und hob beide Hände, die Finger wie dürre Raubvogelkrallen nach seinem Gesicht
ausgestreckt. »Aber freu dich nicht zu früh.«
»Ihr glaubt doch nicht, dass ihr damit durchkommt?«, fragte Andrej.
Anka erstarrte mitten in der Bewegung. Ihre blinden Augen taxierten Andrejs Gesicht so aufmerksam,
dass er sich für einen Moment fragte, ob sie nicht doch sehen konnte, wenn auch vielleicht auf eine völlig
andere Art, als er sich auch nur vorzustellen vermochte. »Was meinst du damit?«
»Ihr habt vor, das, was mit Handmann passiert ist und die Morde auf mich abzuwälzen«, sagte er. »Aber
ich glaube, ihr unterschätzt Pater Flock. Und ihr unterschätzt auch die Inquisition.«
»Inquisition?«
Andrej lachte leise. »Oh, hat Schulz euch nichts davon gesagt? Es ist ein

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